Oh, Mandy
Übelkeit ihn überkam.
„Nein”, keuchte er. „Hilf mir nur zu meinem Wagen. Ich schaff es schon zur Circle-Bar-Ranch.”
„Willst du dich umbringen? Wie kannst du nur so unvernünftig sein?” murmelte Mandy gereizt. Sie winkte ihren Sohn mit einer ungeduldigen Handbewegung weg. „Beil dich, und such Gabe. Wir müssen Jesse ins Bett bringen.”
7. KAPITEL
Jesse öffnete die Augen und blinzelte mehrere Male, um herauszufinden, wo er sich befand.
Schatten bewegten sich im Mondlicht, das durch das Fenster links von ihm hereinschien. Er erkannte einen Frisiertisch an der Wand, einen Kleiderschrank auf der anderen Seite … und einen blumigen Duft, der seine Nase umwehte.
Was, zum Teufel…?
Dann erinnerte er sich. Stöhnend schloss er die Augen wieder. Er war auf der Double-Cross-Heart-Ranch. Aber nicht für lange, schwor er sich. Er rollte sich herum und setzte sich auf die Bettkante. Sofort begann sich in seinem Kopf wieder alles zu drehen. Als Jesse sicher war, dass er aufstehen konnte, ohne hinzufallen, tat er es und griff nach seiner Jeans, die über dem Bettpfosten hing. Während er sie anzog, sah er seine Stiefel vor der Kommode stehen.
Ohne den Reißverschluss der Jeans hochzuziehen, ging er hinüber und bückte sich.
Erneut wurde ihm schwindelig.
Er stützte eine Hand auf die Kommode, und als er sich langsam wieder aufrichtete, sah er vor sich ein Foto von Mandy. Weil er im Mondlicht kaum etwas erkennen konnte, nahm er es hoch, um es genauer zu betrachten.
Auf dem Foto saß Mandy strahlend lächelnd in einem Schaukelstuhl und hatte ein Kind an der Brust. Der Anblick des engelsgleichen Babygesichts schnitt Jesse ins Herz. Er lehnte sich mit der Hüfte gegen die Kommode, während er das Bild umklammerte.
Jaime? Vorsichtig berührte er mit dem Finger das abgebildete Gesicht des Kindes. Mein Sohn, dachte er. Das Bild in der Hand, stolperte er zurück zum Bett. Dort schaltete er die Nachttischlampe an, bevor er auf die Matratze sank.
Während er das Foto betrachtete, stiegen ihm Tränen in die Augen. Er hatte sich Jaime bis jetzt noch nie als Baby vorgestellt.
Wenn er an ihn dachte, dann immer als den zwölfjährigen Jungen, als den er ihn kennen gelernt hatte. Das Bild verschwamm ihm vor den Augen, während er nun an all die Jahre dachte, die ihm entgangen waren.
„Jesse?”
Er hob den Blick. Mandy stand in der Tür und beobachtete ihn. Dabei hielt sie krampfhaft mit einer Hand ihren Bademantel über den Brüsten zusammen.
Jesse wies auf den Bilderrahmen auf seinen Knien. „Ich wollte nicht herumschnüffeln, aber dann sah ich dieses Foto. Ich …” Er brach ab, weil die Gefühle ihn zu überwältigen drohten.
Mandy kam herein und ging zu ihm, ohne zu wissen, was sie tun sollte.
„Ich habe ihn nie so erlebt”, sagte Jesse mit rauer Stimme. „Er wirkt so winzig, so zerbrechlich.”
Mandy setzte sich neben ihn auf das Bett. „Ja, das war er auch. Er hat bei seiner Geburt ziemlich wenig gewogen.” Sie nahm Jesse das Bild aus der Hand und lächelte, als sie sich erinnerte. „Aber er hatte eine unglaublich schwarze Mähne. Und die blausten Augen, die du je gesehen hast.”
Jesse sah sie verblüfft an. „Blau? Aber er hat doch grüne Augen. Genau wie du.”
Mandy lachte leise. „Ja. Jetzt sind sie grün. Aber als er ein Baby war, hatten sie die Farbe eines Sommerhimmels.”
Jesse nahm ihr das Foto wieder aus der Hand und starrte darauf. „Ich habe so viel versäumt.”
Mandy hörte das Bedauern in seiner Stimme und fühlte mit ihm. Sie hatte Jaime vom ersten Moment an gehabt, aber Jesse hatte diese wunderbare Zeit nicht erlebt. „Ich habe ganz viele Fotoalben”, sagte sie. „Möchtest du sie dir ansehen?”
Ohne den Blick von dem Bild zu nehmen, murmelte Jesse: „Ja, das würde ich sehr gern.”
Mandy ging hinüber zum Schrank, holte mehrere Alben heraus und kehrte zum Bett zurück. Sie legte die Alben zur Seite, bis auf eins, das sie sich auf die Knie legte und öffnete.
„Diese Bilder wurden alle in dem Krankenhaus aufgenommen, in dem er geboren wurde.”
„Im Osten”, murmelte Jesse, ohne nachzudenken.
Mandy schaute ihn überrascht an. „Woher weißt du das?”
Jesse seufzte. „Pete hat es mir erzählt. Er sagte, dass Lucas dich weggeschickt hat, nachdem er herausfand, dass du schwanger warst.”
Mandy senkte den Kopf und konzentrierte sich wieder auf die Fotos, konnte sie aber vor Tränen kaum sehen. „Ja, das stimmt. Er hat mich zu meiner Tante Mildred in
Weitere Kostenlose Bücher