Ohne Abkommen (Die Ratte des Warlords III) (German Edition)
gegenüber. Dafür hatte er die Falsa Politica , die Sprache gegenüber der Polizei und den Nichteingeweihten, sogar weiterentwickelt. Mit La Carta , wonach alle bedeutenden Ereignisse niederzuschreiben waren, und Il Lapis , die den Associazione verpflichtete, diese geheime Chronik zu führen, hatte er noch nichts zu tun.
Marcello war sich im Klaren darüber, dass Roberto ein Soziopath war. Er missachtete soziale Normen und Regeln, hatte absolut kein Schuldbewusstsein, eine sehr niedrige Frustrationstoleranz und eine stark ausgeprägte Neigung zu aggressivem und gewalttätigem Verhalten. Er hatte Charme, wirkte interessant auf Frauen, und nutzte das aus. Aber sobald eine Frau nicht mehr aufregend genug war, vergaß er sie. Wenn die Begebenheit nicht damit endete, dass sie oder ihre Eltern besucht werden mussten, um ihnen Geld anzubieten oder um sie einzuschüchtern, damit sie nicht rechtlich gegen Roberto vorgingen, dann war das eine nicht erwähnenswerte Episode gewesen. Aber all das bedeutete nichts, denn Roberto würde sein würdiger Nachfolger werden. Es war egal, dass er manchmal über die Stränge schlug. Seine sechs Töchter liebte Don Marcello abgöttisch, aber sein einziger Sohn war für ihn die Quelle unendlichen Stolzes.
Und dessen manchmal brutales und furchteinflößendes Handeln brachte auch viel Gutes ein, denn man hatte Angst vor Roberto. Die Verhandlungen mit anderen Vereinigungen, seien es mit Indern, Schwarzen oder sonst wem, gingen meist sehr vorteilhaft für die Familie aus, wenn er anwesend war. Mit dreißig Jahren hatte er schon so oft getötet, dass gestandene Killer sich gegen ihn wie Anfänger ausnahmen. Roberto war schwierig, aber ein Segen für die Familie.
Don Marcello war kein starrköpfiger Patriarch. Er wusste genau, wie fähig sein Sohn war. Innerhalb der kurzen Zeit als Quintino hatte Roberto sich große Menge an Wissen angeeignet. Er kannte sich exzellent in der Politik aus, verstand die Wirtschaftskreisläufe und wusste viel über die Arbeit des Polizeiapparates.
Deswegen war Don Marcello zuversichtlich, dass sein Sohn auch das schwerwiegende Problem lösen würde, das sie völlig unerwartet ereilt hatte.
Roberto blickte weiterhin demütig, während Marcello brütend an der Zigarette zog. Im Moment saßen sie nicht als Familienmitglieder einander gegenüber, sondern als der Führer eines Clans und dessen wichtigster Vertrauter und Helfer.
" Es ist schon zwei Tage her, aber weder war die Polizei hier, noch die Zeitungen, noch hat jemand Geld haben wollen", resümierte der Don. "Also?"
Roberto räusperte sich unter seinem verlangenden Blick.
"Eben weil diese Auswirkungen nicht eingetreten sind, gehe ich davon aus, dass der Räuber den Aktenkoffer einfach mitgenommen hat, weil der sich im sichersten Raum des Gebäudes befand", antwortete er. "Wahrscheinlich wird er mit dem Inhalt gar nichts anfangen. Für ihn ist es nur Papier."
"Und für uns eine Gefährdung", erinnerte der Don ihn schroff.
"Natürlich", stimmte Roberto ihm sofort zu. "Aber ich denke, wir sollten die Suche trotzdem langsam angehen." Er sammelte sich. "Der Überfall war meisterlich durchgeführt. Diesen Typen fehlten anscheinend das Wissen und die Erfahrung für einen Einbruch. Also marschierten sie am hellen Tage in die Bank und nahmen sich das Geld einfach. Nur – sie wussten irgendwoher, dass die ABSA Limited in Sandton das Geld verwaltet, mit dem Coal of Africa seine Arbeiter bezahlt. Es kommt in diese Bank, und erst von dort aus wird es auf die Filialen in der Provinz Mpumalanga verteilt." Roberto machte eine Pause. "Mein Informant bei der Polizei sagt, dass die beiden ermittelnden Beamten davon ausgehen, dass jemand vom Geldtransportunternehmen mit drin steckt."
"Logisch", entschied Don Marcello nach einigem Überlegen. "Häng dich da mit dran", befahl er, "aber finde den Typen vor der Polizei."
"Ich bin schon dabei, Vater", erwiderte Roberto.
"Gut", lobte der Don ihn. "Hol diese Papiere zurück, und zwar schnell."
"Jawohl." Roberto machte eine abwartende Pause. "Ich habe mir etwas überlegt", fuhr er fort, nachdem sein Vater ihm auf seinen fragenden Blick hin mit einem knappen Nicken die Erlaubnis zum Sprechen gab. "Der Überfall an sich und die momentane Zurückhaltung mit unseren Papieren zeugen möglicherweise von Intelligenz. Der Mord an dem Schwarzen weist dagegen auf eine geistige Störung hin." Roberto machte eine kurze Pause. "Vielleicht sollte ich versuchen, diesen Typen für uns zu
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