Ohne Beweis (German Edition)
gab sie sich einen Ruck und fragte die Beamten:
„Wissen Sie schon, ob Kamil weiß, dass sein Vater eventuell ein Vergewaltiger war?“
„Nein, wir haben ihn noch nicht verhört. Heute Nachmittag werden wir ins Krankenhaus gehen und mit ihm sprechen können. Es geht ihm ja zum Glück schon etwas besser“, antwortete Joska, der sich auch schon überlegt hatte, ob sie den armen Kamil mit dieser erschreckenden Vermutung belasten sollten. Andererseits konnte es sein, dass Sabine Hohenstein ihm bereits davon erzählt hatte.
„Wir vernehmen als nächstes Frau Hohenstein, dann werden wir ja erfahren, ob sie ihm schon etwas gesteckt hat. Falls nicht, werden wir es auch nicht tun. Da er die Briefe sowieso nicht lesen kann, könnte man ihm einfach erzählen, dass da drin steht, dass sein Vater einen Unfall hatte und auf dem Hof gestorben ist. Dann könnte er mit diesem Thema endlich abschließen“, meinte Joska, doch seine Chefin dachte noch weiter:
„Das wird er uns sicher nicht glauben, denn dann hätten unsere damaligen Kollegen seine Identität herausgefunden und die Witwe benachrichtigt. So weit war die Polizei damals ganz sicher schon, dass sie das rausbekommen hätte. Wenn wir Herrn Rodzinsky aber weismachen, dass sein Vater zwar auf dem Mühlenhof gearbeitet, dann aber weitergezogen war, wird er wieder mit seiner Suche anfangen. Das geht also auch nicht. Aber das soll mal unsere Sorge sein, Frau Lechner. Sie sagen es ihm jedenfalls nicht und wir überlegen uns, wie wir uns in dieser Sache verhalten werden. Wir geben Ihnen dann aber Bescheid, wie wir uns entschieden haben, in Ordnung?“
„Ja, gut. Ich bin mir noch nicht im Klaren, ob ich Kamil überhaupt wiedersehen will …“, antwortete Carmen mit traurigem Blick. Sie war sich wirklich noch nicht sicher, ob sie die tiefen Gefühle für diesen Mann zulassen oder sie besser verdrängen sollte.
„Kann ich jetzt gehen?“, fragte Carmen, die plötzlich das Gefühl hatte, zu ersticken, wenn sie noch länger in diesem Raum bleiben musste. Eine dieser lästigen Hitzewellen kündigte sich auch an und bevor sie einen roten Kopf und für jeden sichtbare Schweißperlen im ganzen Gesicht bekommen würde, floh sie geradezu aus dem Vernehmungszimmer. Joska und seine Chefin schauten ihr mitleidig hinterher.
„Arme Frau“, sagte Frau Müller-Harnisch, die bald ihren sechsundvierzigsten Geburtstag feiern durfte. Vor ein paar Wochen fingen diese Hitzewallungen auch bei ihr an und sie konnte mitfühlen. Bisher hatte sie diese unangenehmen Schweißausbrüche noch gut vor ihren Kollegen verbergen können, denn wenn die Umgebung das mitbekam, dann war man plötzlich eine alte Frau, auch wenn man sich ansonsten noch recht jung fühlte. In diese Gedanken hinein rief Joska Frau Hohenstein herein.
„Guten Morgen Frau Hohenstein“, begrüßte Joska die immer noch recht blasse Frau. Sie hatte ein dunkles Kleid an, welches sie noch blasser erscheinen ließ. „Setzen Sie sich doch bitte“, forderte Joska sie freundlich auf. „Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?“
„Nein danke. Ich habe gerade gefrühstückt. Bringen wir es einfach nur schnell hinter uns. Ich bin immer noch recht schwach auf den Beinen und geschockt, wie das alles hatte enden müssen“, sagte sie und ließ sich schwerfällig auf dem angebotenen Stuhl nieder. Die Hauptkommissarin ergriff dann auch sofort das Wort und begann mit ihrer Befragung:
„Wie sind Sie überhaupt in diese Gefangenschaft geraten, Frau Hohenstein?“
„Durch meine elende Neugier, würde ich mal sagen. Aber ich will von vorne anfangen. Kennen Sie die Plattform Couch-Surving?“
„Ja, wir haben davon gehört. Fahren Sie bitte fort“, sagte Frau Müller-Harnisch und war gespannt, was nun kommen würde.
„Johann hat über diese Seite ein Gästezimmer angeboten. Außerdem bot er eine Führung auf dem Glaubens- und dem Franziskusweg in Ottenbach an. Kennen Sie sicher, oder?“, fragte Frau Hohenstein und die Beamten nickten beide einhellig. Zu beiden Wanderwegen gab es sogar Wanderführer und die schönen Wege mit ihren einzelnen Stationen waren im ganzen Göppinger Raum bekannt und beliebt.
„Für mich hörte sich das recht interessant an und da Johann angegeben hatte, dass er ein junggebliebener Rentner wäre, hatte ich keine Bedenken, sein Angebot anzunehmen. Die Couch-Surving-Seite schien mir seriös und ich hatte wirklich mit keinen Komplikationen oder dergleichen gerechnet. Zunächst
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