Ohne Beweis (German Edition)
wollte, wie weit ich gehen würde und ich solle mich nie mehr hier blicken lassen! Und da bin ich einfach abgehauen – was hätte ich denn tun sollen?“, jammerte Carmen nun und fing an zu heulen. Joska reichte ihr mitfühlend ein Taschentuch, doch Frau Müller-Harnisch war strenger und fragte unerbittlich:
„Wie konnten Sie nur Ihre Familie so in Angst und Schrecken versetzten und einfach verschwinden?“
„Meine Kinder wussten, dass ich seit Wochen mit leichten Depressionen zu kämpfen hatte und sie waren bei meiner Schwester ja gut aufgehoben. Wie hätte ich meiner Schwester das mit Johann alles erklären sollen? Ich war einfach fertig mit den Nerven und musste erst mal alleine damit klar kommen.“
„In Ordnung. Und warum sind Sie dann gestern wieder zurückgekommen? Und warum ausgerechnet auf den Mühlenhof?“, wollte Joska wissen.
„Ich wollte Carolin alles erklären und sie vor Johann warnen, obwohl ja alles nur Vermutungen waren. Sie hatte mir zu Hause einen Zettel hingelegt, dass sie mit Nora und Joska auf dem Mühlenhof zu tun hätte und da ich mir nicht vorstellen konnte, was sie damit gemeint hat, bin ich auch dort rauf gefahren. Den Rest kennen Sie ja.“
„Hat Ihre Schwester Ihnen inzwischen verziehen?“, fragte Joska und hoffte es inständig, auch um Noras Willen. Denn diese hatte sich doch mit beiden Frauen angefreundet und die gemeinsame ehrenamtliche Arbeit in der Bücherstube gefiel ihr ja auch sehr gut. Nachdem Carmen genickt hatte, fragte Joska:
„Und Ihre Kinder? Was haben die zu Ihrem Verschwinden gesagt?“
„Meine Kids sind schon sehr selbstständig. Meine Tochter hat viel zu lernen für ihre Prüfungen, die sehe ich meist nur noch zu den Mahlzeiten. Mein Sohn kurvt nur noch mit seinem neuen Roller rum oder hängt am Smartphone oder Computer, der hat wahrscheinlich nicht mal gemerkt, dass ich weg war. Carolin hat sich ja um sie gekümmert und sie bekocht. Aber ich glaube, inzwischen sind sie doch froh, dass ich wieder da bin. Sie hatten aber nicht eine Minute Angst, mir könnte etwas passiert sein. Nicht so wie Nora! Die Arme hat sich ja die tollsten Szenarien ausgemalt, was mir alles hätte passieren können. Wenn ich das geahnt hätte, hätte ich mich vielleicht anders verhalten.“
„Ja, ja. Die liebe Nora hat schon eine blühende Phantasie. Sie wäre die geborene Krimiautorin“, lachte Joska, doch seine Vorgesetzte blieb ernst.
„Hätten Sie jemanden auf den Fund der alten Dokumente und Ihren diesbezüglichen Verdacht aufmerksam gemacht?“, wollte sie wissen.
„Das ist doch sicher schon längst alles verjährt, oder nicht?“, fragte Carmen und dann fiel ihr ein, dass sie noch nicht erwähnt hatte, dass sie auch Kamil bisher noch nichts von dem Brief erzählt hatte, in dem stand, dass sein Vater womöglich ein Vergewaltiger gewesen war. Diese Tatsache war ein weiterer Grund gewesen, warum sie abgehauen war. Niemals hätte sie Kamil damit konfrontieren wollen. Doch wie hätte sie ihm erklären sollen, dass sie ihm plötzlich doch nicht mehr bei der Suche nach seinem Vater helfen wollte? Sollte sie die Beamten bitten, ihm nichts davon zu erzählen? Oder hatte diese Frau Hohenstein es ihm womöglich schon gesteckt?
„Da der mutmaßliche Mörder nicht mehr lebt, dürfte diese Frage nicht mehr relevant sein“, sagte Frau Müller-Harnisch. „Doch die Sache mit seiner Frau könnte man noch nachprüfen“, überlegte sie und hatte mehr zu sich selbst gesprochen, doch Joska nahm den Faden sofort auf.
„Sie wollen die alte Dame doch nicht exhumieren!“, rief er entsetzt und aufgeregt zugleich, denn so einen Fall hatte er in seiner bisherigen, zugegeben, kurzen Laufbahn als Kriminalbeamter, noch nicht miterlebt.
„Man könnte es tun, um Gewissheit zu haben, doch da ihr Mann dafür nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden kann, würde das nur unnötige Kosten verursachen. Ich finde, wir sollten die Sache auf sich beruhen lassen. Können Sie das für sich behalten, Frau Lechner?“
„Selbstverständlich. Ich kann nur hoffen, dass Frau Hohenstein nichts von dieser Sache weiß und falls doch, dass auch sie schweigen wird. Wenn das herauskommen würde, gäbe es viel Gerede im Dorf und obwohl der Mühlenhofbauer keine Verwandten mehr hat, würde es noch mehr schlechtes Licht auf ihn werfen. Und wie Sie bereits sagten, es bringt doch niemandem mehr etwas“, meinte Carmen voller Überzeugung und somit war dieses Thema abgehakt. Doch dann
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