Ohne Beweis (German Edition)
dass wir momentan sonst nichts zum Trinken oder Essen da hatten.
„Willst du nicht noch ein wenig schlafen?“, versuchte ich sie zu überreden. Vielleicht konnte ich dann schnell in die Stadt fahren und etwas einkaufen. Allerdings – viel Geld hatte ich nicht dabei und Eva ja auch nicht. Dann musste ich eben versuchen, an den diversen Verkaufsständen in den kleineren Ortschaften etwas zu entwenden. Ich konnte ja ein bisschen Kleingeld in die Kassen werfen, das wurde ja nicht sofort kontrolliert. Ein paar Äpfel und Kartoffeln konnte ich so schon auftreiben. Beim Getränkehändler standen oft die gerade gelieferten Kisten draußen herum, da konnte ich sicher auch eine ungesehen schnappen. Doch vorher musste ich Eva noch klarmachen, dass sie hier alleine bleiben musste und ich sie auch einsperren würde. Die Fensterläden konnte ich von außen verschließen und die Türe ja sowieso abschließen. Was sie davon wohl halten würde? Diese Frage konnte ich ihr aber nicht mehr stellen, denn ihr waren schon wieder die Augen zugefallen. Sollte ich nun einfach kurz verschwinden, ohne ihr Bescheid zu sagen, was ich vorhatte oder doch besser warten, bis sie wieder richtig zu sich kam und ihr die ganze Sache dann erklären? Da fiel mein Blick auf ein Bleistiftgemälde, das ein Nachbarmädchen mal gemalt und mir geschenkt hatte. Ich hatte es nicht eingerahmt – es gefiel mir nicht mal besonders – aber es war ein lieb gemeintes Geschenk gewesen, da ich das entlaufene Kaninchen des Kindes wieder eingefangen hatte. So hatte ich das einzige Geschenk, das ich bis dahin je bekommen hatte, doch als so wertvoll betrachtet, dass ich es aufgehoben und hier aufgehängt hatte. Nun konnte es mir einen guten Dienst erweisen und als Notizblatt herhalten. Ich konnte es ja später wieder aufhängen. So pflückte ich es vorsichtig von der Wand, legte es umgedreht auf den kleinen Tisch und suchte dann nach etwas zum Schreiben. Zunächst voller Zuversicht, doch als sich einfach nichts finden ließ, womit ich eine kurze Notiz hätte schreiben können, geriet ich in Panik. Warum, wusste ich selbst nicht, denn es war ja nun nicht so schlimm, nichts aufschreiben zu können. Dann musste ich eben doch warten, bis Eva wieder wach und aufnahmefähig war und hoffen, dass sie verstehen würde, dass sie hier eingesperrt bleiben musste. Dennoch war ich plötzlich so verzweifelt und auch wütend, dass es bereits bei so einer Kleinigkeit, etwas aufschreiben zu wollen, zu den ersten Schwierigkeiten kam. Wie sollte das erst werden, wenn es wirklich zur Sache ging? Wenn Eva sich weigerte, allein hier zu bleiben oder noch schlimmer – wenn sie sich wieder daran erinnerte, wer sie wirklich war?
Doch daran wollte ich nicht denken und dann fiel mein Blick auf ein Streichholzheftchen …
38
Wie gerädert wachte Nora am nächsten Morgen mit steifen Gliedern auf. So mussten sich alte Menschen fühlen, wenn sie morgens aufstanden. Gähnend schälte sie sich aus ihrem Schlafsack, in den sie sich wegen ihrer nächtlichen Hin- und Herdreherei total verheddert hatte. Eigentlich hasste sie Schlafsäcke, aber heute Nacht hatte er ihr doch gute Dienste geleistet. Nachts war es meist empfindlich kühl, was man deutlich zu spüren bekam, wenn man in einem Auto schlafen musste. Doch jetzt um acht Uhr spitzelten die ersten Sonnenstrahlen durch die Bäume und wärmten den kleinen Wagen bereits ein bisschen auf. Nora kletterte aus ihrem Käfer und streckte sich. Neben ihr tat ein junger Lastwagenfahrer gerade genau das Gleiche und die beiden lächelten sich an.
„Guten Morgen. Können Sie mir sagen, wo ich hier gelandet bin?“, fragte Nora dann auch sofort ihre drängendste Frage. Der junge Mann schaute etwas begriffsstutzig und Nora dachte, er würde vielleicht ihre Sprache nicht verstehen. Sie ging etwas zur Seite, um das Nummernschild seines Lastwagens erkennen zu können, doch es war ein deutsches Kennzeichen. Dann musste er sie doch verstanden haben.
„Warum wissen Sie nicht, wo Sie sind? Sind Sie etwa entführt worden?“, fragte der Typ jetzt entsetzt, doch Nora schüttelte sofort den Kopf.
„Nein, nein. Ich bin gestern nur so müde gewesen, dass ich nicht mal mehr mitbekommen hab, wo ich langgefahren bin, beziehungsweise, letztendlich angehalten habe. Also – wo sind wir hier?“, fragte Nora mit ihrem freundlichsten Lächeln, das sie in ihrer angespannten Lage zustande brachte.
„Ach so. Das geht mir auch oft so“, sagte der Fahrer
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