Ohne Chef ist auch keine Loesung
dran.
Heute allerdings kann gar nichts mehr schiefgehen, denn noch gestern sprachen Sie mit Frau Ohnsorg-Bergenschrei, Schnappis
Sekretärin, die den heutigen Termin bestätigte. Beschwingt stoßen Sie die Tür zum Bürotrakt auf, wagen ein kleines Tänzchen
um den Tresen im Foyer und plumpsen heiter in Ihren Lehnsessel, |72| den Sie ab morgen gegen die Luxusausführung in Raffleder eintauschen werden. »Noch ein paar Minuten ruhig atmen, um wieder
runterzukommen«, ermahnen Sie sich zu professioneller Gelassenheit – und fallen in einen wohligen Tagtraum, in dem Sie den
König spielen, der seine Untertanen mit gnädiger, aber durchaus bestimmter Hand regiert …
Das Schrillen des Telefons holt Sie in die Realität zurück, die bis heute noch von abgewetztem Alcantara dominiert wurde.
»Das wird seine Sekretärin sein, die mich herüberbittet«, triumphieren Sie innerlich und führen majestätisch die Muschel zum
Ohr – das bald glatt um die Hälfte an Mehrgehalt aufgewertet wird. »Ohnsorg-Bergenschrei hier«, röhrt es durch das Telefon,
»der Chef hat sich gerade gemeldet. Es tut ihm furchtbar leid, dass er heute absagen muss. Aber er lässt Ihnen ausrichten,
dass die Beförderungskriterien nochmals überdacht wurden. Eventuell sprechen Sie dann in sechs Monaten wieder über die berufliche
Weiterentwicklung – das jetzt glatt um die Hälfte an Mehrgehalt aufgewertet ist.«
Frage:
Wie fühlen Sie sich in dem Moment?
Ganz gut. Wieso?
Enttäuscht und veräppelt.
Oh – ertappt.
Antwort 2 zeugt von einem intakten Seelenleben – Glückwunsch! Denn was Schnappi eben in der für Sie sehr bedeutsamen Situation
mit Ihnen gemacht hat, ist alles andere als nachvollziehbar und fair. Klar, dass Sie enttäuscht sind und eventuell auf den
Gedanken kommen, dass er Sie nicht ganz ernst nimmt. Ihr Chef hat sich nämlich wie eine Lottozahl verhalten. Was haben nun
die gute Lottozahl und der Chef gemeinsam?
|73| Wenn der Chef Ihnen die Kugel gibt
Wir alle haben es schon einmal getan, zumindest in Gedanken: Lotto gespielt. Um durch unseren Millionengewinn endlich unseren
ungeliebten Job an den Nagel hängen und als Privatier in Saus und Braus unser Leben genießen zu können. Ohne die mürrischen
Kolleginnen, die grässlichen Kunden und den verkorksten König Boss, der seinen Untertanen das Dasein zur Hölle macht!
Die Chance für sechs Richtige im deutschen Zahlenlotto liegt allerdings nur bei 1 zu 14 Millionen. Und damit ist die Wahrscheinlichkeit,
auf diese Weise der Arbeitswelt für immer den Rücken kehren zu können, wohl eher gering. Nicht umsonst bedeutet Lotto übersetzt
so viel wie »Glücksspiel« oder auch »Schicksal«. Ein schweres Schicksal …
Und wenn wir dieses unser ach so schweres Schicksal erklären und verstehen wollen und gar nichts mehr hilft – dann wenden
sich viele von uns an Gott. Schon in Johann Heinrich Zedlers
Grossem vollständigen Universal-Lexicon aller Wissenschafften
und Künste
aus dem 18. Jahrhundert wird erörtert, wie Gottes Vorsehung die Austeilung des Lotterien-Glücks zu beeinflussen vermag; nämlich
insoweit, als »dass der Schöpfer wie im wirklichen Leben, indem er dem einen ein gutes, dem anderen ein mittelmäßiges, dem
dritten aber ein schlechtes Los zuweist, auch bei der Lotterie die Hand im Spiel hat«.
Nun können wir an die Existenz Gottes glauben oder auch nicht, an seinen Einfluss auf unser Schicksal, die Willkür, mit der
wir ihm ausgeliefert sind – das bleibt jedem und jeder von uns selbst überlassen. Was man als Mitarbeiter hingegen keinesfalls
akzeptieren kann, ist, der Willkür des Vorgesetzten ausgeliefert zu sein, der gottesgleich über das Schicksal waltet und unberechenbar
ist wie eine Lottozahl: Mit 48 anderen Zahlen schwirrt |74| sie durch die Mischtrommel, hin und her, kaum zu erkennen, ständig unserem Blick entschwindend; langsam hält dann die Trommel
an, fährt noch einmal vor und zurück – und geheimnisvoll rollt sie, die unberechenbare Lottozahl, nach draußen, fällt in ein
durchsichtiges Rohr und tritt uns endlich zu Gesicht, um uns immer wieder aufs Neue zu überraschen. Es ist schon schwer genug,
dieses Spektakel mit dem Lottoschein in der Hand vor dem Fernseher zu verfolgen – jeden Tag aber den eigenen Chef als wandelnde
Lottozahl auszuhalten: Das steht keiner durch.
Genau das allerdings kommt leider häufiger vor. Beliebte Beispiele aus dem Firmeninnenleben sind: Aufträge ins
Weitere Kostenlose Bücher