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Ohne ein Wort

Ohne ein Wort

Titel: Ohne ein Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linwood Barclay
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uns zu. Als wir uns zu ihr setzten, hatte sie ihren Big Mac bereits ausgepackt.
    »Iih«, sagte sie, als sie meine Broccolicremesuppe erblickte. Vom Nebentisch blickte eine ältere Frau in einem blauen Mantel zu uns herüber und lächelte.
    Ich setzte mich neben sie; Cynthia nahm uns gegenüber Platz. Ich bemerkte, dass sie über meine Schulter sah. Ich wandte mich kurz um und drehte mich wieder zu ihr.
    »Ist irgendwas?«, fragte ich.
    »Nein, nichts«, sagte sie und nahm einen Bissen von ihrem Chicken-Sandwich.
    »Wo hast du denn hingeguckt?«
    »Nirgendwohin«, sagte sie.
    Grace schob sich eine Pommes zwischen die Zähne und nagte sie in rasantem Tempo weg.
    Cynthia sah abermals über meine Schulter.
    »Cyn«, sagte ich. »Was ist denn los?«
    Diesmal wiegelte sie nicht sofort ab. »Dieser Mann da drüben …«
    Ich wollte mich umdrehen, doch sie sagte schnell: »Nein, sieh nicht hin.«
    »Stimmt irgendwas nicht mit ihm?«
    »Darum geht es nicht«, sagte sie.
    Ich seufzte, verdrehte wahrscheinlich sogar die Augen. »Mal im Ernst, Cyn, du kannst nicht einfach wildfremde Leute …«
    »Er sieht aus wie Todd«, sagte sie.
    Okay, dachte ich. Es war beileibe nicht das erste Mal. »Warum erinnert er dich an deinen Bruder?«
    »Ich weiß nicht genau. Einfach so. Er sieht genauso aus, wie Todd heute wahrscheinlich aussehen würde.«
    »Worüber redet ihr eigentlich?«, fragte Grace.
    »Nicht so wichtig«, sagte ich, und an Cynthia gewandt: »Sag mir, wie er aussieht, und ich drehe mich ganz unauffällig um.«
    »Er hat dunkles Haar und trägt eine braune Jacke. Er sitzt drüben beim Chinesen und isst eine Frühlingsrolle. Er wirkt wie eine jüngere Ausgabe meines Vaters. Die Ähnlichkeit ist erschreckend.«
    Langsam wandte ich mich um, als wollte ich die umliegenden Restaurants und Imbissbuden in Augenschein nehmen. Dann hatte ich ihn auch schon erspäht, wie er gerade ein paar Sojasprossen mit der Zunge auffing, die aus seiner halb gegessenen Frühlingsrolle fielen. Von den Fotos in Cynthias Schuhschachtel wusste ich, wie Todd ausgesehen hatte, und tatsächlich hätte er als Mann von Ende dreißig, Anfang vierzig wohl so oder ähnlich ausgesehen. Der Mann hatte leichtes Übergewicht, ein teigiges Gesicht, dunkles Haar und war etwa um die 1,80 Meter groß, obwohl sich das nicht genau sagen ließ, da er an einem Tisch saß.
    Ich wandte mich wieder zu Cynthia. »Der hat doch ein Allerweltsgesicht«, sagte ich.
    »Ich muss ihn mir aus der Nähe ansehen«, sagte Cynthia.
    Ehe ich etwas einwenden konnte, war sie auch schon aufgestanden. »Schatz«, brachte ich noch heraus und griff halbherzig nach ihrem Arm, doch dann war sie auch schon an mir vorbei.
    »Wo geht Mommy hin?«
    »Zur Toilette«, sagte ich.
    »Ich muss auch«, sagte Grace, während sie die Beine vor- und zurückschwang, um ihre neuen Schuhe begutachten zu können.
    »Mom geht mit dir, wenn sie zurückkommt«, sagte ich.
    Ich beobachtete, wie Cynthia einen weiten Bogen schlug und sich dem Mann aus der entgegengesetzten Richtung seitlich näherte. Als sie mit ihm auf gleicher Höhe war, stellte sie sich in der Schlange vor dem McDonald’s an und musterte ihn unauffällig – den Mann, der ihrer Meinung nach wie ihr Bruder Todd aussah.
    Als sie zu uns zurückkam, hatte sie ein Schokoeis in einem durchsichtigen Plastikbecher dabei. Ihre Hand zitterte, als sie das Eis auf Grace’ Tablett stellte.
    »Wow!«, sagte Grace.
    Cynthia ging nicht weiter auf sie ein. Sie sah mich an.
    »Er ist es.«
    »Cyn.«
    »Das ist mein Bruder.«
    »Cyn, hör auf. Das ist nicht Todd.«
    »Ich habe ihn mir genau angesehen. Er ist es. So sicher, wie Grace hier sitzt.«
    Grace sah von ihrem Eis auf. »Dein Bruder ist hier?«, fragte sie neugierig. »Todd?«
    »Sei still und iss dein Eis«, sagte Cynthia.
    »Ich weiß, wie er heißt«, sagte Grace. »Und deine Eltern hießen Clayton und Patricia.«
    »Grace!«, fuhr Cynthia sie an.
    Ich spürte, wie sich mein Pulsschlag beschleunigte. Mir schwante Böses.
    »Ich muss mit ihm reden«, sagte sie.
    Bingo.
    »Das kannst du nicht machen«, sagte ich. »Hör zu, das ist er nie im Leben. Ganz ehrlich, wenn dein Bruder hier im Einkaufszentrum chinesisches Essen futtern würde – glaubst du nicht, er hätte sich längst mit dir in Verbindung gesetzt? Außerdem würdest du ihm ebenso ins Auge stechen. Meine Güte, musst du hier wirklich Inspektor Clouseau spielen und ihm beinahe auf die Füße treten? Es ist einfach irgendein Typ, der deinem

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