Ohne ein Wort
begrüßte Cynthia wie einealte Freundin und knipste ihr Strahlelächeln an. Cynthia war eher zurückhaltend. Neben Paula stand eine Schwarze in einem schicken marineblauen Hosenanzug, die ich auf Ende vierzig schätzte. Ich fragte mich, ob sie hier die Aufnahmeleiterin war.
»Darf ich Ihnen Keisha Ceylon vorstellen?«, fragte Paula.
Ups. Vermutlich offenbar hatte ich eine Zigeunerin oder eine Frau in knöchellangem Batikkleid erwartet – jedenfalls ganz bestimmt niemanden, der nach Chefetage aussah.
»Sehr erfreut«, sagte Keisha und schüttelte uns die Hand. Anscheinend hatte sie gewittert, was mir durch den Kopf ging. »Überrascht?«
»Ein bisschen«, sagte ich.
»Und du bist bestimmt Grace«, sagte sie und beugte sich zu unserer Tochter, um ihr ebenfalls die Hand zu schütteln.
»Hi«, sagte Grace.
»Wo können wir Grace solange unterbringen?«, fragte ich. »Gibt’s hier so was wie einen Backstageraum?«
Eine Assistentin eilte herbei, um Grace an eine weitere Assistentin weiterzureichen. Nachdem Cynthia und Keisha geschminkt worden waren, wurden sie auf der Couch platziert; zwischen ihnen stand der Schuhkarton. Paula nahm ihnen gegenüber in einem der Sessel Platz, während die Kameras geräuschlos in Stellung gebracht wurden. Ich trat zurück ins Studiodunkel, weit genug, um niemandem im Weg zu stehen, aber ich blieb nahe genug, um alles mitzubekommen.
Paula sprach ein paar einleitende Worte,rekapitulierte kurz die Sendung, die ein paar Wochen vorher gelaufen war. Kein Problem, später die eine oder andere Information dazuzuschneiden, falls sie etwas vergessen hatte. Dann sagte sie, es hätten sich verblüffende Entwicklungen im Fall der 1982 spurlos verschwundenen Familie Bigge ergeben. Eine Hellseherin habe sich gemeldet, die offenbar imstande sei, Licht ins Dunkel zu bringen.
»Ich hatte die Sendung gesehen«, sagte Keisha Ceylon mit ruhiger, wohltönender Stimme. »Und auch mit Interesse verfolgt, aber nicht weiter darüber nachgedacht. Aber zwei Wochen später wollte ich einer Klientin dabei helfen, mit einer verstorbenen Verwandten in Kontakt zu treten, und irgendwie lief es nicht so wie sonst, so als gäbe es eine Art Störung, wie früher bei diesen Gemeinschaftsanschlüssen, wenn plötzlich ein dritter Teilnehmer in der Leitung war.«
»Das ist ja außergewöhnlich«, sagte Paula beeindruckt. Cynthia lauschte mit unbewegter Miene.
»Und plötzlich hörte ich eine Frauenstimme. Sie sagte: ›Bitte richten Sie meiner Tochter etwas von mir aus.‹«
»Wirklich? Und hat die Frau ihren Namen genannt?«
»Ja. Sie sagte, sie heiße Patricia.«
Cynthias Lider zuckten.
»Und was hat sie noch gesagt?«
»Sie bat mich, mit ihrer Tochter Cynthia Kontakt aufzunehmen.«
»Warum?«
»Da bin ich mir nicht ganz sicher. Möglicherweise wollte sie, dass ich mehr erfahre. Daher habe ich Sieauch gebeten« – sie lächelte Cynthia an –, »ein paar Erinnerungsstücke mitzubringen, damit ich mich ein wenig einfühlen und Verbindung zur Vergangenheit herstellen kann.«
Paula wandte sich an Cynthia. »Sie haben uns etwas mitgebracht, nicht wahr?«
»Ja«, erwiderte Cynthia. »Diesen Schuhkarton haben Sie ja schon einmal gesehen. Ich bewahre Fotos und alte Zeitungsausschnitte darin auf, alles Mögliche. Ich kann Ihnen die Sachen zeigen, und dann …«
»Nicht notwendig«, sagte Keisha. »Wenn Sie mir einfach den ganzen Karton geben würden.«
Cynthia reichte ihr die Schachtel. Keisha bettete sie in ihren Schoß, legte die Hand darauf und schloss die Augen.
»Ich spüre starke Energieströme«, sagte sie.
Jetzt reicht’s aber langsam, dachte ich.
»Ich spüre … Traurigkeit. So viel Traurigkeit.«
»Was spüren Sie noch?«, fragte Paula.
Keisha runzelte die Stirn. »Ich spüre … dass Sie ein Zeichen erhalten werden.«
»Ein Zeichen?«, sagte Cynthia. »Was für ein Zeichen?«
»Ein Zeichen … das helfen wird, Ihre Fragen zu beantworten. Aber mehr kann ich momentan nicht sagen.«
»Warum?«, fragte Cynthia.
»Warum?«, fragte Paula.
Keisha öffnete die Augen. »Könnten Sie kurz die Kameras abschalten?«
»Äh, Leute«, sagte Paula. »Kurze Pause, ja?«
»Okay«, sagte einer der Kameramänner.
Paula wandte sich wieder zu Keisha. »Gibt’s ein Problem?«
»Was ist denn los?«, fragte Cynthia besorgt. »Was wollen Sie denn nicht vor der Kamera sagen? Geht es um meine Mutter? Um das, was sie mir mitteilen wollte?«
»Gewissermaßen«, sagte Keisha. »Nun ja, ehe wir fortfahren,
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