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Ohne ein Wort

Ohne ein Wort

Titel: Ohne ein Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linwood Barclay
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als wäre sie am liebsten ganz woanders, egal wo, und hätte ich einen Spiegel zur Hand gehabt, hätte mir wahrscheinlich eine ähnliche Miene entgegengeblickt.
    Das Mädchen vor ihr – Valerie Swindon, wie immer die Wohlerzogenheit selbst – reckte die Hand.
    »Lieber Präsident Lincoln, ich halte Sie für einen unserer bedeutendsten Präsidenten, weil Sie für die Freiheit der Sklaven und die Gleichheit aller Bürger gekämpft haben …«
    Und in dem Stil ging es nahtlos weiter. Die anderen Kids gähnten und verdrehten die Augen, während ich dachte, dass es um die Welt wohl nicht sonderlich gut stand, wenn man nicht mal ein ernsthaftes Wort über Abraham Lincoln aussprechen konnte, ohne vor dem Rest der Menschheit als armes Würstchen dazustehen. Doch während sie weiterlas, musste ich unwillkürlich an einen alten Gag des Komikers Bob Newhart denken, in dem ein smarter Werbefuzzi den ehrwürdigen Präsidenten am Telefon auffordert, doch endlich mal ein bisschen locker zu werden.
    Ich ließ noch zwei andere Kids vorlesen und versuchte es dann mit Jane.
    »Heute nicht«, sagte sie.
    Als die Stunde vorbei war, legte sie im Vorübergehen ein Blatt Papier auf mein Pult. Als sie den Klassenraum verlassen hatte, begann ich zu lesen:

    »Lieber Jemand, dies ist ein Brief von einem Jemand an einen anderen, ein Brief, der ohne Namen auskommt, da sowieso niemand den anderen richtig kennt. Namen sind ohnehin nur Schall und Rauch. Die ganze Welt besteht aus Millionen und Abermillionen von Unbekannten, die einander immer fremd bleiben werden. Manchmal glauben wir, jemanden zu kennen, gerade Menschen, die uns nahestehen, aber wenn wir sie wirklich kennen, warum wundern wir uns dann so oft übersie? Eltern wundern sich dauernd über ihre Kinder. Sie ziehen sie groß, verbringen jeden einzelnen Tag mit ihnen und glauben, sie hätten wahre Engel gezeugt, und eines Tages stehen die Bullen vor der Tür – Überraschung, Ihr Kleiner hat gerade einem anderen Kid die Birne mit einem Baseballschläger eingeschlagen. Oder andersrum, du bist noch ein Kind und glaubst, alles sei völlig okay, und eines Tages sagt der Typ, der doch eigentlich dein Vater sein sollte: Macht’s gut, schönes Leben noch, und du denkst, was soll denn die Scheiße? Und Jahre später zieht deine Mom mit einem anderen Kerl zusammen, der eigentlich ganz in Ordnung zu sein scheint, aber letztlich fragst du dich bloß die ganze Zeit, wann es wieder passiert. Genau so ist das Leben nämlich: Es stellt dich die ganze Zeit vor die Frage, wann es wieder passiert. Weil es schon lange, lange nicht mehr passiert ist, und langsam wird’s wieder Zeit. Alles Gute, Dein Irgendwer.«

    Ich las ihren Brief noch zweimal, und dann schrieb ich mit meinem Rotschrift eine » 1 « in die obere rechte Ecke.

    Über Mittag wollte ich kurz bei Cynthia im Laden vorbeisehen. Als ich zu meinem Wagen ging, fuhr Lauren Wells gerade auf den freien Parkplatz daneben; mit der einen Hand steuerte sie, in der anderen hielt sie ein Handy und telefonierte.
    Ich war ihr in jüngster Zeit aus dem Weg gegangen und auch heute nicht besonders scharf darauf, mit ihrzu reden, aber sie ließ bereits die Scheibe herunter und bedeutete mir mit gerecktem Kinn, kurz zu warten. Sie hielt an, sagte »Augenblick mal« ins Handy und wandte sich zu mir.
    »Hey«, sagte sie. »Seit eurem letzten Treffen mit Paula haben wir uns ja gar nicht mehr gesehen. Na, seid ihr bald wieder im Fernsehen?«
    »Nein«, sagte ich.
    Ein enttäuschtes Flackern huschte über ihr Gesicht. »Wie schade«, sagte sie. »Ist irgendwas passiert? Wollte Paula euch nicht noch mal in der Sendung haben?«
    »Nichts dergleichen«, sagte ich.
    »Hör mal«, fuhr Lauren fort, »würdest du mir einen Gefallen tun? Könntest du vielleicht mal eben ›Hi‹ zu meiner Freundin sagen?«
    »Was?«
    Sie hielt mir das Handy hin. »Sag einfach nur ›Hi, Rachel‹. So heißt sie nämlich. Sie wird tot umfallen, wenn ich ihr erzähle, dass du der Typ bist, der bei Deadline war.«
    Ich öffnete meine Wagentür. »Du hast ’ne Meise, Lauren.«
    Mit offenem Mund starrte sie mich an. Ich saß bereits hinter dem Steuer, als sie mir durch das geschlossene Fenster zurief: »Du hältst dich für eine ganz große Nummer, Terry, aber in Wirklichkeit bist du so klein mit Hut!«

    Als ich Pamelas Boutique betrat, war Cynthia nicht da.
    »Sie hat heute Morgen angerufen, wegen des Schlossers«, sagte Pamela. Es war fast eins. Wenn der Schlosser pünktlich gekommen

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