Ohne ein Wort
verpflichtet, mich mit diesem Menschen in Verbindung zu setzen. Wenn man eine solche Gabe besitzt, trägt man auch Verantwortung.«
»Verstehe.«
»Die finanzielle Seite ist dabei absolut zweitrangig.«
»Das kann ich mir lebhaft vorstellen.« Obwohl ich Keisha Ceylon bereitwillig hereingelassen hatte, begann ich es langsam zu bereuen.
»Ich spüre genau, dass Sie mir kein Wort glauben, aber ich kann Dinge sehen.«
Der Text kam mir bekannt vor. Aber hieß es nicht Ich kann Tote sehen?
»Und wenn Sie wollen, kann ich Ihnen meine Gabe zur Verfügung stellen«, sagte sie. »Dennoch wäre ich Ihnen für einen kleinen Unkostenbeitrag dankbar, nachdem diese Fernsehfritzen ja nun keinen Cent herausrücken wollten.«
»Ah, ja«, sagte ich. »Und was für einen Unkostenbeitrag hatten Sie sich vorgestellt?«
Die Ceylon legte die Stirn in Falten, als hätte sie daran bislang nicht den geringsten Gedanken verschwendet. »Tja, da setzen Sie mir die Pistole auf die Brust«, sagte sie. »Ich hatte an etwas in der Größenordnung von tausend Dollar gedacht. So war es jedenfalls mit den Fernsehleuten vereinbart, ehe sie dann plötzlich nichts mehr davon wissen wollten.«
»Verstehe«, sagte ich. »Könnten Sie mir vielleicht eine kleine Kostprobe Ihrer Fähigkeiten geben? Tausend Dollar sind schließlich kein Pappenstiel.«
Die Ceylon nickte. »Natürlich«, sagte sie. »Einen Moment bitte.« Sie lehnte sich zurück, reckte den Kopf und schloss die Augen. Eine halbe Minute lang saß sie ebenso stumm wie regungslos da. Es sah aus, als fiele sie in eine Art Trance, als mache sie sich bereit, mit der Geisterwelt in Kontakt zu treten.
Dann: »Ich sehe ein Haus.«
»Ein Haus«, sagte ich. Langsam nahm die Sache Formen an.
»Ein Haus an einer Straße, auf der Kinder spielen. Ichsehe Bäume, eine alte Frau und einen alten Mann, die an dem Haus vorbeigehen. Und da ist noch ein Mann, aber nicht so alt, vielleicht ihr Sohn … es könnte Todd sein, glaube ich. Ich werde jetzt versuchen, mich ganz auf das Haus zu konzentrieren …«
Ich beugte mich näher zu ihr. »Ist es ein gelbes Haus? Mit leicht verwitterter Fassade?«
Die Lider der Ceylon schienen leicht zu flattern. »Ja. Genau.«
»O Gott«, sagte ich. »Und die Fensterläden? Sind sie grün – dunkelgrün?«
Sie neigte den Kopf leicht zur Seite, als würde sie genauer hinsehen. »Ja, dunkelgrün.«
»Sind Blumenkästen unter den Fenstern?«, fragte ich. »In denen Petunien wachsen? Können Sie mir das sagen? Es ist sehr wichtig.«
Sie nickte wie in Zeitlupe. »Ja, Sie haben recht. Die Blumenkästen sind voller Petunien. Kennen Sie das Haus?«
»Nein«, sagte ich achselzuckend. »Das habe ich mir bloß gerade ausgedacht.«
Wütend schlug sie die Augen auf. »Sie dreckiger Mistkerl!«
»Tja, das war’s dann wohl«, sagte ich.
»Sie schulden mir tausend Dollar.«
Mach Witze.
»Von wegen«, sagte ich.
»Tausend Dollar, weil ich Ihnen …« Ich sah, wie sie krampfhaft überlegte. »Ich hatte noch eine andere Vision. Ihre Tochter. Sie ist in großer Gefahr.«
»Tatsächlich?«, sagte ich.
»Ja. Ich habe sie gesehen. In einem Wagen. Auf einem Hügel. Geben Sie mir das Geld, und ich sage Ihnen, wie Sie Ihre Tochter retten können.«
Ich hörte, wie draußen eine Autotür zugeworfen wurde. »Ich habe auch eine Vision«, sagte ich und rieb mir die Schläfen. »Ich sehe meine Frau, wie sie durch diese Tür kommt. Es muss jede Sekunde so weit sein.«
Und genauso war es. Wortlos ließ Cynthia den Blick durch das Wohnzimmer schweifen.
»Hallo, Schatz«, sagte ich beiläufig. »Du erinnerst dich bestimmt an Keisha Ceylon, die Hellseherin, oder? Tja, und weil ich ihr den Hokuspokus nicht abkaufen wollte, hat sie mir jetzt noch kurzerhand eine Schreckensvision über Grace aufgetischt, um auf der Klaviatur unserer schlimmsten Ängste zu spielen und uns doch noch einen Tausender aus dem Kreuz zu leiern.« Ich sah Keisha an. »So weit richtig?«
Der Ceylon hatte es die Sprache verschlagen.
»Na, wie war’s beim Bestatter?«, fragte ich Cynthia und ließ den Blick abermals zu der Hellseherin schweifen. »Ihre Tante ist gestorben. Einen besseren Zeitpunkt hätten Sie sich wirklich nicht aussuchen können.«
Und dann ging alles ganz schnell.
Cynthia packte die Hellseherin bei den Haaren, riss sie vom Sofa und zerrte sie zur Haustür.
Sie war puterrot vor Wut. Keisha war eine große Frau, doch Cynthia schleifte sie über den Boden wie eine Strohpuppe. Sie ignorierte
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