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Ohne ein Wort

Ohne ein Wort

Titel: Ohne ein Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linwood Barclay
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während der Bestattungsunternehmer Cynthia feierlich die Urne überreichte. Ich half ihr, das Gefäß zu öffnen. Aus Furcht, es fallen zu lassen, waren wir so nervös, als hätten wir es mit einer Stange Dynamit zu tun. Dann war es geschafft. Grace, Rolly, Millicent, Pam und ich sahen zu, wie Cynthia die Urne umdrehte und der Wind die Asche ins Wasser fegte. Nur ein paar Sekunden undTess’ Überreste waren verweht. Cynthia reichte mir die Urne. Einen Augenblick lang sah es so aus, als sei ihr schwindelig geworden; Rolly trat zu ihr, um sie zu stützen, aber sie signalisierte ihm mit erhobener Hand, dass alles in Ordnung war.
    Grace hatte eine Rose mitgebracht – es war ihre eigene Idee gewesen –, die sie nun ins Wasser warf.
    »Auf Wiedersehen, Tante Tess«, sagte sie. »Danke für das schöne Buch.«
    Am Morgen hatte Cynthia noch davon gesprochen, ein paar Worte sagen zu wollen, doch nun, da es so weit war, fehlte ihr die Kraft dazu. Und mir fiel nichts ein, was gewichtiger oder ergreifender gewesen wäre als Grace’ simples Lebewohl.
    Als wir zum Pier zurückfuhren, sah ich dort eine gedrungene schwarze Frau in Jeans und dunkler Lederjacke stehen, die uns offenbar erwartete. Sie war ziemlich korpulent, bewies aber ein beträchtliches Maß an Geschick, als sie uns half, das Kajütschiff festzumachen. »Terrence Archer?«, fragte sie. Dem leichten Akzent nach zu urteilen kam sie aus Boston.
    Ich bejahte.
    Sie hielt mir einen Ausweis hin, der sie als Detective Rona Wedmore identifizierte. Außerdem war sie nicht aus Boston, sondern aus Milford. Sie streckte die Hand aus und half Cynthia auf den Pier, während ich Grace auf die verwitterten Planken hob.
    »Ich würde gern kurz mit Ihnen sprechen«, sagte sie.
    Cynthia legte den Arm um Grace, während die anderen sich zu ihr gesellten. Die Polizistin und ich gingen ein paar Meter weiter.
    »Geht es um Tess?«, fragte ich. »Ist jemand verhaftet worden?«
    »Nein, Sir«, sagte sie. »Die Ermittlungen laufen sicher auf Hochtouren, aber ich bin in einer anderen Angelegenheit hier.« Ihre Worte kamen kurz und knapp, wie aus der Pistole geschossen. »Es geht um Denton Abagnall.«
    Der Name traf mich wie aus heiterem Himmel. »Ja?«
    »Er ist spurlos verschwunden«, sagte sie. »Nun schon seit zwei Tagen.«
    »Ich habe erst kürzlich mit seiner Frau telefoniert. Und ihr geraten, umgehend die Polizei einzuschalten.«
    »Und seitdem haben Sie nichts mehr von ihm gehört?«
    »Nein«, sagte ich. »Ich wette, sein Verschwinden hängt irgendwie mit dem Mord an der Tante meiner Frau zusammen. Kurz vor ihrem Tod war er noch bei ihr. Tess hatte mir gesagt, sie hätte seine Visitenkarte an die Pinnwand in ihrer Küche gesteckt. Aber als ich sie tot aufgefunden habe, war die Karte nicht mehr da.«
    Detective Wedmore schrieb etwas in ihr Notizbuch. »Er hat Nachforschungen für sie angestellt, richtig?«
    »Ja.«
    »Und im Zuge dieser Nachforschungen ist er verschwunden.« Das war keine Frage, daher nickte ich nur. »Was glauben Sie?«
    »Was?«
    »Was passiert ist.« Ein ungeduldiger Unterton.
    Ich zögerte und sah hinauf zum wolkenlosen Himmel. »Ich will nichts heraufbeschwören«, sagte ich dann. »Aber ich glaube, er ist tot. Als er bei uns war, hatjemand auf seinem Handy angerufen – möglicherweise sogar sein Mörder, wenn Sie mich fragen.«
    »Wann war das?«, fragte sie. »Um welche Uhrzeit?«
    »So gegen fünf Uhr nachmittags.«
    »Vor fünf, nach fünf oder Punkt fünf?«
    »Ziemlich genau um fünf.«
    »Wir haben uns nämlich mit seinem Handy-Provider in Verbindung gesetzt und alle Anrufe abgefragt. Und um fünf hat jemand angerufen – von einem Münztelefon in Derby.«
    »Die Tante meiner Frau wohnte dort oben«, sagte ich.
    »Dann gab es noch einen weiteren Anruf von einem Münztelefon hier in Milford, eine Stunde später. Danach hat seine Frau noch mehrmals angerufen, aber er ist nicht ans Handy gegangen.«
    Cynthia und Grace stiegen in den Cadillac des Bestatters ein.
    Detective Wedmore baute sich herausfordernd vor mir auf, und obwohl sie mehr als zehn Zentimeter kleiner war als ich, wirkte sie ziemlich einschüchternd.
    »Wer könnte es auf die Tante Ihrer Frau abgesehen gehabt haben?«, fragte sie. »Und vielleicht auch auf Abagnall?«
    »Jemand, der will, dass die Vergangenheit im Dunkeln bleibt«, sagte ich.

    Millicent lud uns zum Essen ein, aber Cynthia wollte lieber gleich nach Hause. Grace war tief ergriffen; eswar ihre erste Beisetzung gewesen. Den

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