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Ohne ein Wort

Ohne ein Wort

Titel: Ohne ein Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linwood Barclay
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hundertprozentig sicher, dass während der letzten Tage niemand unbefugt unser Haus betreten hatte.
    Es schien undenkbar, dass Cynthia die Nachricht selbst getippt hatte. Was aber, wenn … wenn sie unter so extremer Anspannung stand, dass sie das Ganze inszeniert, sich in den Wahn hineingesteigert hatte, ihre Familie würde auf dem Grund eines abgelegenen Sees in einem anderen Bundesstaat liegen?
    Was, wenn sie den Brief nicht nur geschrieben hatte, sondern sich obendrein herausstellte, dass der Inhalt der Nachricht der Wahrheit entsprach?
    »Terry!«, rief Cynthia. »Detective Wedmore ist hier!«
    »Komme sofort!«, rief ich zurück.
    Das aber würde bedeuten, dass Cynthia all die Jahre gewusst hatte, was mit ihrer Familie geschehen war.
    Mir brach der kalte Schweiß aus.
    Vielleicht hatte sie ihre Erinnerungen verdrängt, dachte ich. Möglich, dass sie mehr wusste, als ihr selbst klar war. Ja. Vielleicht hatte sie miterlebt, was geschehen war, aber alles vergessen. So etwas kam vor. Vielleicht war das Erlebte so grauenhaft gewesen, dass sie es schlicht hatte verdrängen müssen, um weiterleben zu können. Vage entsann ich mich, dass es tatsächlich ein solches Krankheitssyndrom gab. Ich kam nur nicht darauf, wie es hieß.
    Was aber, wenn sie ihre Erinnerungen gar nicht verdrängt hatte? Was, wenn sie immer schon …
    Vergiss es.
    Nein, es musste eine andere Erklärung geben. Ein anderer hatte unsere Schreibmaschine benutzt. Vor Tagen schon. Jemand, der bewusst vorausgeplant hatte. Der Unbekannte, der in unser Haus eingedrungen war und den Hut zurückgelassen hatte.
    Immer vorausgesetzt, dass es tatsächlich ein Unbekannter gewesen war.
    »Terry!«
    »Bin gleich da!«
    »Mr Archer!«, rief Detective Wedmore. »Bewegen Sie endlich Ihren Arsch hierherunter!«
    Ich handelte aus dem Bauch heraus. Ich nahm die Schreibmaschine – du meine Güte, diese alten Geräte waren wirklich verdammt schwer –, verfrachtete sie in den Schrank und verdeckte sie mit einer fleckigen altenJeans, die ich sonst beim Anstreichen anzog, und ein paar alten Zeitungen.
    Als ich die Treppe herunterkam, sah ich, dass Cynthia mit der Beamtin im Wohnzimmer saß. Der anonyme Brief lag auf dem Couchtisch; Rona Wedmore las ihn gerade.
    »Sie haben ihn angefasst«, tadelte sie mich.
    »Ja.«
    »Beide haben Sie das Schreiben angefasst. Aber Ihre Frau konnte ja nicht wissen, worum es sich handelte. Und was ist Ihre Entschuldigung?«
    »Es tut mir leid«, sagte ich. Ich fuhr mir über Mund und Kinn, um die verräterischen Schweißperlen abzuwischen.
    »Sie haben doch die Möglichkeit, auf Taucher zurückzugreifen, oder?«, fragte Cynthia.
    »Genauso gut könnte Ihnen jemand einen bösen Streich gespielt haben.« Detective Wedmore strich sich eine widerspenstige Haarsträhne hinters Ohr. »Vielleicht steckt überhaupt nichts dahinter.«
    »Das wäre natürlich möglich«, bestätigte ich.
    »Aber Genaueres wissen wir eben auch nicht«, sagte Detective Wedmore.
    »Wenn Sie keine Taucher anfordern, suche ich den See selbst ab«, sagte Cynthia.
    »Cyn«, sagte ich. »Vergiss es. Du bist keine professionelle Schwimmerin.«
    »Mir doch egal.«
    »Mrs Archer«, sagte Detective Wedmore, »beruhigen Sie sich.« Es klang wie ein Befehl. Sie führte sich auf wie eine Footballtrainerin.
    »Mich beruhigen?«, fragte Cynthia unbeeindruckt. »Sie sehen doch selbst, was hier steht. Sie liegen auf dem Grund des Sees. Da unten sind ihre Leichen!«
    Detective Wedmore schüttelte skeptisch den Kopf. »Was meinen Sie, was sich da alles im Lauf der Jahre angesammelt hat? Wahrscheinlich können wir dort ewig suchen.«
    »Vielleicht sind ihre Leichen noch im Wagen«, sagte Cynthia. »Das Auto meiner Eltern wurde ebenfalls nie gefunden.«
    Die Wedmore ergriff den Brief mit spitzen, rot lackierten Fingernägeln, drehte ihn um und nahm die Karte in Augenschein.
    »Zuerst müssen wir uns mit der Polizei in Massachusetts in Verbindung setzen«, sagte sie. Sie griff in ihre Jacke, förderte ihr Handy zutage und klappte es auf.
    »Fordern Sie jetzt die Taucher an?«, fragte Cynthia.
    »Ich kümmere mich drum. Außerdem muss dieser Brief ins Labor, vielleicht lässt sich ja doch etwas feststellen – trotz Ihres eigenmächtigen Handelns.«
    »Es tut mir leid«, sagte Cynthia.
    »Merkwürdig, dass der Brief mit einer Schreibmaschine geschrieben wurde«, sagte Detective Wedmore. »Schreibmaschinen werden heutzutage ja kaum noch benutzt.«
    Plötzlich hatte ich einen Kloß im Hals.

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