Ohne Ende Leben - Roman
ob er jede Minute hassen würde. Er lächelt tatsächlich und das ist einfach sonderbar. Ich klopfe an die Tür und Dad springt schnell hoch.
»Hey, Cam. Was für ne Überraschung. Du erinnerst dich an Raina, meine Assistentin?«
Raina. Sie winkt mir leicht zu. »Hi.«
»Also, was führt dich zu mir, Freitagnachmittag um halb fünf?«
»Ich war bei
Eubie’s
. Dachte, ich schau mal kurz rein.«
»Großartig«, sagt Dad und lächelt, als wolle er mir einen Gebrauchtwagen verkaufen.
»Ähm, Raina, wenn Sie diese Arbeiten bis Mittwochmorgen erledigen könnten …«
»Sicher, Frank.«
Frank? Sie nennt ihn Frank? Was stimmt hier nicht mit Dr. Smith? Ich streife Raina leicht, als ich reingehe. Sie hat große braune Augen und ihr Haar duftet nach Orangen. Für den Bruchteil einer Sekunde stelle ich sie mir nackt vor. Aber dann denk ich mir, dass mein Vater vielleicht das Gleichetut oder sie sogar schon nackt gesehen hat, und ich wünsche mir einen großen Joint, damit ich mir diesen Gedanken direkt aus dem Hirn blasen kann.
Dad bietet mir einen Stuhl an. »Also, das ist wirklich eine Überraschung.«
»Und ob.« Ich lasse mich auf den Billigstuhl auf der anderen Seite des Schreibtisches fallen, wo sonst seine Studenten Platz nehmen. So sehen sie ihn also: groß, ein attraktiver Kerl in gestärktem Button-Down-Hemd und Kakihose. Schwerer Schreibtisch. Schwerer Sessel. Bedeutende Diplome an der Wand, hinter seinen grau melierten Rundum-Geheimratsecken, die seinen Kopf so wirken lassen wie den einer dieser religiösen Ikonen. Auf dem Schreibtisch steht eine schwarze Schachtel, obendrauf ein Engel in einer Schneekugel. Jenna und ich haben Dad das Ding vergangenes Jahr zu Weihnachten geschenkt. Der Boden der Kugel ist seit einiger Zeit angeknackst, und nun lehnt sich der Engel mit beiden Händen gegen das Glas, als ob er versucht, auszubrechen. Dann steht da noch eine dieser Metallstiftskulpturen, die man selbst gestalten kann, indem man gegen die Stifte drückt. Daneben zwei ordentliche Stapel Papiere – »korrigiert« und »unkorrigiert«. Schreibtischlampe auf der einen Seite, Telefon auf der anderen. Ordnung. Symmetrie. Autorität.
»Raina ist eine wirklich kluge Frau, eine großartige Physikerin. Diese Studienanfänger wissen gar nicht, womit sie hier konfrontiert werden. Sie hätte zum
MIT
gehen können, wenn sie gewollt hätte.
»Cool. Hey, kann ich mir den Wagen borgen?«
Dads Mundwinkel sacken nach unten. Jetzt erscheint er mir wieder vertraut – wie ein Luftballon vier Tage nach der Geburtstagsparty.
»Bist du nur deswegen vorbeigekommen?«
Ich drücke mein Gesicht gegen die Metallstiftskulptur. Als ich es wieder wegziehe, ist mein Gesichtsausdruck darauf zu einem Schrei erstarrt. »Es sieht ja nicht so aus, als ob du den Wagen gerade brauchst.«
»Wenn sich deine Noten verbessern, können wir über den Wagen reden.« Dad schüttelt die Stifte wieder zurecht und löscht damit mein Bild. »Hey, die hier werden dir wahrscheinlich gefallen.«
Er holt einen Stapel Fotos aus einer Schreibtischschublade und schüttet mir die Bilder in die Hand. Es sind Urlaubsfotos. Ein paar Typen in T-Shirts der Gold Coast University mit Rucksäcken in den Bergen. Drei Mädchen auf irgendeiner Megabowlingbahn. Eine Meute Studenten in den Frühlingsferien am Strand. Ich kenne keinen einzigen der Leute. »Einige meiner Studenten arbeiten an diesem Projekt. Sie haben einen Gartenzwerg gestohlen, ihn auf eine Weltreise geschickt und ihn immer an jemanden weitergereicht, der als Nächstes auf Tour ging.«
Jetzt sehe ich den kleinen Kerl, wie er aus jedem Bild herausguckt, dicke rote Wangen, weißer Bart und blitzende Augen. Okay, wenn sie wirklich blitzen könnten. Es sieht aus, als ob sie das wirklich tun wollten. Außerdem sieht er aus, als würde er nur zu gerne die Scheiße aus seinen eingebildeten Kidnappern prügeln. Oder vielleicht hat er einfach Spaß am Reisen. Vielleicht schickt er den anderen Gartenzwergen Ansichtskarten.
Mir geht’s ausgezeichnet. Keine Rasensprinkler weit und breit.
»Ganz witzig«, sage ich und werfe die Bilder zurück auf den Schreibtisch.
»Du hast sie dir nicht mal angesehen.«
»Doch, hab ich.«
Dad seufzt. »Weißt du, Cameron, du könntest wenigstens so tun, als ob du an meinem Leben interessiert bist.«
»Dad, ich hab sie angeschaut.«
Er ordnet sie und spannt ein Gummiband drum herum, um sie im Zaum zu halten, so wie er sich im Zaum hält. So ist mein Vater. Koch nie über,
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