Ohne Ende Leben - Roman
ich …« Ich kann den Satz nicht beenden, kann ihr nicht erzählen, dass ich mir sicher bin, sterben zu müssen, jetzt, wo ich keine Jungfrau mehr bin.
»Wie war’s?«, fragt sie mit einer Stimme, die so sanft klingt wie ein Gebet.
»Gut.«
»Lügner.« Dulcie schenkt mir ein kleines Lächeln, aber sie sieht traurig aus.
Draußen auf dem Parkplatz kotzt jemand. Seine Begleiter lachen angewidert.
»Ich dachte, ich würde was anderes fühlen.«
»Dachtest du?«, fragt Dulcie.
Ja. Nein. Ich weiß nicht. Ich fühl mich leer. Verloren. Ein bisschen traurig. Als ob ich auf ein Paket gewartet habe, das nie ankam. Vielleicht, wenn mehr Zeit gewesen wäre, hätte ich einfach sagen können: Hey, verschieben wir’s. Aber das war mehr oder weniger mein einziger Schuss und ich habe ihn vermasselt. Obwohl, es geht nicht nur um den Sex. Das Ganze ist einfach total ungerecht. Wo ich doch gerade zu verstehen beginne, wie toll diese ganze Reise noch werden könnte, und da ist sie schon fast zu Ende.
»Cameron?« Dulcie starrt mich ganz merkwürdig an. Sie streckt den Arm aus und streichelt mein Gesicht. Sie wischt mir die Tränen so sanft von den Wangen, wie es noch keiner getan hat.
»Lass mich.«
»Nein«, sagt sie.
»Bitte. Okay?«
»Cameron, schau mich an …«
Im Zimmer wird es heller. Dulcies Flügel entfalten sich und enthüllen nach und nach ihren nackten Körper. Die Schultern. Den Bauch. Die Arme. Die Oberschenkel. Ihre Haut glänzt.
»Dulcie?«, sage ich und kann den Blick nicht von ihr lassen.
»Schschsch…«
»Wenn wir das tun, werde ich dann sterben?«
Sie legt mir ihre Finger auf den Mund. Das ist die Geste, die ich am häufigsten an ihr sehe.
»Jeder muss sterben, Cameron. Ein bisschen, jeden Tag. Sorg dafür, dass jeder Tag zählt.«
Ohne ein weiteres Wort zieht sie mich an sich. Diese riesigen sanften Schwingen legen sich um mich, als ob ich das erste Mal in meinem Leben gehalten werde. Als ob ich auf das schwarze Loch im Himmel zutreibe und keine Angst davor habe. Ich möchte hineingezogen werden. Ich möchte hören, wie es singt. Ich möchte diese B-Dur -Töne in einer Oktave hören, die noch kein menschliches Wesen je vernommen hat. Ich möchte fühlen, so wie jetzt. Ich möchte Dulcie.
Irgendetwas streift über meine nackte Haut. Finger? Lippen? Flügel? Ich kann nicht sagen, was, aber es fühlt sich unglaublich an. Wie wenn ich durch diese elf Dimensionengleichzeitig treibe und mein Körper Welle und Teilchen in einem ist. Wir prallen aufeinander, erschaffen uns unser eigenes Universum, etwas, das noch neu ist und namenlos und das noch alle Möglichkeiten in sich trägt. Dieses Glücksgefühl ist so stark, dass man sich ihm nicht entziehen kann. Und ausnahmsweise suche ich mal keinen Ausweg.
Ich küsse sie, von den harten Schwielen ihrer Hände bis hin zu den weichen Kuppen ihrer Finger. Mit ihren kleinen Händen umschließt sie mein Gesicht. Sie sind so warm wie die ersten Sonnenstrahlen im Frühling.
»Cameron, schau mich an«, flüstert sie.
Ich tu es. Ich sehe sie. Ich sehe sie wirklich. Und in diesem Augenblick weiß ich, dass auch sie mich sieht.
Sie lächelt, und in ihrem Lächeln liegt alles, was ich mir jemals wünschen könnte. Ihr Gesicht kommt immer näher und schließt die unmögliche Entfernung zwischen uns. Ihre Lippen sind ganz nahe an meinen.
Und als es so weit ist, ist die Berührung mehr der gefundene als der gefühlte Kuss.
KAPITEL VIERUNDVIERZIG
Handelt davon, was mit Gonzo passiert, wenn wir nicht auf ihn aufpassen
Als ich aufwache, ist es schon nach Mittag. Die Sonnenstrahlen versuchen sich ihren Weg durch die Vorhänge zu bahnen, also stehe ich auf und lasse das Licht herein. Das grelle Weiß tut meinen Augen weh, aber nur für eine Sekunde. Eigentlich habe ich im Moment nicht wirklich Schmerzen. Keine Ticks. Keine Muskelschwäche oder Kurzatmigkeit. Ich fühle mich großartig. Ich fühle mich rundum vollständig.
»Dulcie?«, rufe ich. Und schon vermisse ich das Gefühl, ihre Haut auf meiner zu spüren. Die Bettlaken sind völlig zerwühlt. Ich habe unruhig geschlafen. Auf dem Kopfkissen liegt eine pinkfarbene Feder. Sie duftet nach Regen, nach Lachen, nach dem Unerwarteten. Sie duftet nach Dulcie. Dieses Mal steht nichts auf der Feder. Keine geheime Botschaft. Die brauche ich auch nicht. Meine Jeans liegt am Boden; ich stecke die Feder in meine Gesäßtasche.
Im Wandschrank rumort es. Balder wird langsam sauer. »Falls ich missachtet und
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