Ohne Ende Leben - Roman
Zuerst vermute ich eine Falle, aber dann wird mir bewusst, dass er wirklich kein Interesse hat, mich zu jagen. Ich sage »Miepmiep« und er zappt sich mit seiner Fernbedienung weiter durchs Programm. Schließlich gebe ich es auf und hüpfe zu ihm rüber.
»Willst du mich nicht jagen?«, frage ich.
Er schaut mich an. Seine gelben Augen wirken müde. »Warum sollte ich?«
Dazu fällt mir nichts ein. »Ich weiß nicht«, sage ich und setze mich auf den Sesselrand. »Weil es das ist, was wir immer tun.«
»Hä?«, antwortet er und bietet mir Popcorn an. Ich picke in der Schüssel herum, weil ich ja jetzt ein Vogel bin.
Wir sitzen da und gucken Cartoons. Ein Steppenroller weht vorüber. Es ist wirklich nur ein Haufen wilder Bleistiftstriche, die so aussehen sollen, als ob sich was bewegt – eine Illusion. Vermutlich ist das, was wir hier machen, ganz nett, eigentlich jedoch will ich rennen. Wenn mich der Kojote aber nicht jagt, gibt es auch keinen Grund, loszurennen.Erst das Wissen, dass er mich fangen will, setzt meine Glieder in Bewegung; und ihn reizt es, mich zu verfolgen, weil er weiß, dass ich ihm immer ein Stückchen voraus bin. Ohne den anderen können wir wirklich nicht leben. So läuft das.
»Mach schon«, flüstere ich mit meiner Vogelstimme, »jag hinter mir her. Nur noch einmal.«
»Aufwachen, Alter, aufwachen!« Gonzos Gesicht rückt über mir ins Blickfeld. »Es tut sich was.«
Ich wische mir den Schlaf aus den Augen. Durch die Windschutzscheibe sehe ich, wie Mitarbeiter #457 und #458 den Laderaum ihres Lkws öffnen und einen Karton auf eine Sackkarre hieven. Zwei Minuten später kommen die beiden mit der leeren Karre aus dem Diner, steigen ins Führerhaus und kehren auf die Interstate zurück.
»Folgen wir ihnen, Alter?«, fragt Gonzo.
»Wir müssen zuerst das Diner checken«, sage ich und gehe auf die Tür zu. Meine Beine werden wirklich immer steifer.
Eine strahlende, fröhlich lächelnde Hostess begrüßt uns an der Tür und hat ein paar Speisekarten in der Größe von Atlanten in der Hand. »Frühstück gefällig? Möchtet ihr einen Raucher- oder einen Nichtrauchertisch?«
»Tut mir leid«, sage ich. »Wir sind ziemlich in Eile. Wir sind nur da wegen der Schneekugeln, die gerade geliefert wurden. Könnten wir den Karton bitte überprüfen?«
Ihr Daumen schwebt über dem Alarmknopf neben der Kasse.
Buddha Burger
hat auch so einen. »Bevor die Schneekugeln nicht inventarisiert sind, lassen wir sie von niemandem einfach so überprüfen.«
»Inventarisiert?« Gonzo formt das Wort mit den Lippen.
Die Botschaft ist angekommen. Aber ich muss wissen, ob Dulcie in diesem Karton ist. »Tut mir leid. Ich komme von der Qualitätskontrolle. Es könnte sein, dass Sie eine unserer verunreinigten Lieferungen erhalten haben.«
»Verunreinigt?«, wiederholt die Bedienung und ihr Lächeln ist verschwunden. »Was heißt das?«
»Mit der Lieferung könnte etwas nicht in Ordnung sein, wirklich nicht in Ordnung. Nicht in Ordnung im Sinne von gifthaltig.«
Sie hält die Hand vor den Mund. »Ohmeingott. Dann rufen wir lieber die Polizei.«
»Nein!«, sage ich, zu schnell.
Die Bedienung kneift ihre Augen zusammen. Sie sieht mich an, dann Gonzo, dann wieder mich. »Ist das eine Art Streich? Seid ihr von einer Studentenverbindung?«
Ich grinse. »Du hast uns überführt. Es ist ein Streich« – ich werfe einen heimlichen Blick auf ihr Namensschildchen –, »Freedom LaToya. Tatsächlich casten wir für eine neue Reality-T V-Show .
Freedom LaToyas Augen werden sehr groß. »Ist das wahr?«
»Und ob! Eigentlich sollte ich dir das nicht verraten, aber …« Ich ziehe eine Schau ab, recke den Hals und blicke nach links und nach rechts. »Das Ganze spielt in einem Restaurant, und es geht darum, die perfekte Hostess zu finden. Die Show heißt nämlich
The Hostess
. Die Vereinigten Schneekugel-Großhändler sind der Sponsor. Du wärst eine großartige Kandidatin, weißt du. Ich werde das unsere Geldgeber wissen lassen.«
»Wow. Danke. Fernsehen. Oh, wow!«
»Ja. Aber wir müssen ein paar Filmaufnahmen von mir machen, wie ich den Karton durchsehe. Für die Show.«
»Oh, natürlich. Also, kommt mit!«
Freedom LaToya führt uns zum Lagerraum. »Dann lass ich euch mal machen.«
»Prima. Danke.«
Wir schneiden das Klebeband durch, öffnen den Karton und lösen die Luftpolsterfolie von allen zehn Schneekugeln. In keiner von ihnen ist Dulcie.
»Los!«, rufe ich und renne zum Wagen.
»Das war stark,
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