Ohne Ende Leben - Roman
Alter!«, sagt Gonzo und legt den Sicherheitsgurt an. »Wie kommst du nur auf so was Bescheuertes wie eine Realityshow über Restauranthostessen?«
Ich lasse den Motor aufheulen. »Das willst du gar nicht wissen.«
Ungefähr zehn Minuten fahren wir wie ein geölter Blitz, dann ist der Lkw wieder in Sichtweite. Wir verfolgen ihn zu jedem Lieferpunkt – Tankstellen, Restaurants, Souvenirshops, Kirchen –, bis es am späten Nachmittag unserer Rosinante zu viel wird und sie wieder diesen beißenden Ölgeruch absondert. Scheiße. Reiß dich zusammen, alte Freundin. Das könnte ich genauso gut zu mir selbst sagen. Die Zuckungen sind wieder da, und ich weiß wirklich nicht, wie lange ich das Steuer noch halten kann, bevor meine Hände einen Breakdance beginnen. Wir passieren grünweiße Hinweistafeln, die uns sagen, wo wir sind und worauf wir zusteuern.
ORLANDO. INTERSTATE 4. NORTH EXIT 62. OSCEOLA PKWY.
Die grünen Rastalocken der Palmen tanzen im Wind. Straßenlampen recken die Hälse über den Asphalt wie Flamingos aus Metall.
536 EAST. TO INTERNATIONAL DR S. LAKE BUENA VISTA. CENTRAL FLORIDA PKWY. Die Farbe der Hinweisschilderwechselt von grün-weiß zu blau-rot. MAGIC KINGDOM. WORLD DRIVE. Weiter vorne steht ein riesiger Torbogen, an dem die beliebteste Maus der Welt befestigt ist.
»Nee, ne!«, ruft Gonzo, als der Lkw darauf zusteuert.
Jede Zelle meines Körpers befindet sich in höchster Alarmbereitschaft.
»Willkommen in
Disney World
«, sage ich.
KAPITEL NEUNUNDVIERZIG
Handelt davon, was passiert, wenn wir nach
Fantasyland
kommen
Auf diesem riesengroßen Gelände von
Disney World
einen Parkplatz zu finden, erweist sich als Herausforderung. Jedes weiß gestreifte Stückchen Asphalt ist besetzt. Schließlich stelle ich den Caddy auf einem Grasstreifen ab. Sicher wird er von dort abgeschleppt. Aber das spielt jetzt keine Rolle mehr.
Wir nehmen die Parkplatztram zur Monorail, die uns im Eiltempo zu den Eingangstoren von Amerikas beliebtestem Freizeitpark bringt. Die Tickets kosten uns ein Vermögen. Und dann sind wir drin und stehen auf der Main Street. Überall um uns herum winken und tanzen und posieren lebensgroße Trickfilmfiguren im Plüschpelz. Ich stolpere in Gonzo hinein und der stößt mich mit einem Knurren zurück. Auf meiner Stirn bilden sich kalte Schweißperlen. Gonzos Augen weiten sich. »Alter«, sagt er sanft und nickt in Richtung meines Armbandes. Alle Farbe ist davon gewichen, bis auf einen dünnen Streifen unter
Tomorrowland
. Ich bin fast am Ende. Meine Lungen fühlen sich an, als ob sie mit Schnürsenkeln zugebunden worden wären.
»Bin okay«, keuche ich. »Wir müssen Dulcie finden.«
»Wo sind wir?«
»Main Street.«
Im Spätnachmittagsdunst schimmert Cinderellas Schlossvor uns wie eine Fata Morgana. Ein Oldtimer töff-töfft an uns vorüber. Die Besucher drängen sich auf den Gehsteigen und in den Straßen. Alles scheint unwirklich – ausgenommen die Sicherheitsleute, die mit ihren Walkie-Talkies auf Patrouille sind. Gonzo nickt in ihre Richtung.
»Ich seh sie«, sage ich. »Wir müssen uns verkleiden.«
In einem der vier Millionen Souvenirshops kaufen wir für mich einen gigantischen Ritterhelm, einen Zaubererumhang und eine ultimative Friedenswaffe und für Gonzo eine Hundemütze mit Schlappohren und ein dazu passendes Kostüm.
»Ich fühle mich wie ein totaler Idiot«, murmelt Gonzo hinter der Maske.
»Immer noch besser als ne Figur in ner Schneekugel«, erinnere ich ihn. »Hier.«
Ich drücke ihm den Rest unseres Geldvorrats in die Pfote – vierhundert Dollar.
»Wofür soll das sein?«
»Für’n Busticket nach New York. Grüß Drew von mir. Schau dir das Empire State Building an. Ich wollte das immer tun.«
»Du sagst das, als ob du nicht mit zurückkommst, Alter.« »Ich weiß nicht, was passieren wird. Hör zu, nimm einfach das Geld, okay?«
»Okay«, sagt er leise. Er betätschelt sich mit seinen Pfoten. »Hat dieses Ding hier keine verdammte Tasche?« Gonzo öffnet den Reißverschluss des Kostüms und verstaut das Geldbündel in seiner Jeans.
Dann laufen wir die Main Street entlang und halten dabei Ausschau nach jemandem, der eine Sackkarre mit Schneekugeln schiebt. In jedem Souvenirladen kontrollieren wir den Warenbestand – ohne Erfolg. Der Tag ist schön und derPark zum Bersten voll. Familien im Urlaub. Pärchen auf Hochzeitsreise, mit Mausohren und Brautschleier. Omas und Opas, die ihre Enkelkinder mit
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