Ohne Ende Leben - Roman
Hübsche Kopfbedeckung, übrigens. Obwohl sie ein bisschen nachgemacht aussieht.«
Rechts von mir liegt ein langer Flur mit vielen Türen. Ich laufe los und versuche, mich in Sicherheit zu bringen.
»Das wird nicht funktionieren!«, ruft mir der Große Abrechner hinterher, als ich direkt gegen die Wand renne. »Die Tür ist nur aufgemalt! ’tschuldigung, mein kleiner Roadrunner. Da kommst du nicht raus.«
Er öffnet seinen gepanzerten Raumanzugmantel. Darunter trägt er ein orangefarbenes T-Shirt : MEINE ELTERN WAREN IN SHITHENGE, UND ALLES, WAS ICH DAVON HAB, IST DIESES BESCHISSENE T-SHIRT.
»Aber wir haben dich doch aus dem Weg geräumt. Du kannst nicht hier sein«, sage ich und sehe mich nach einer Fluchtmöglichkeit um.
Das Grinsen des Abrechners versteinert sich. »Ich bin immer hier, Cameron. Typisch. Immer seid ihr auf der Suche nach Zeichen, nach dem Sinn. Alles wollt ihr unter Kontrolle halten, das Chaos, die Unordnung, das Irrationale, das Unerklärbare, den Tod, der am Horizont heraufzieht, ein großes schwarzes Loch, das alles aufsaugt, was ihm in den Weg kommt. Es gibt kein Entrinnen.« Er setzt sich auf den Rand des Schreibtisches. »Ich dachte, du hättest das kapiert: Warum bemühen wir uns? Am Ende sterben wir ja doch. Eine vernünftige Einstellung. Das habe ich an dir gemocht, Cameron. Deshalb bin ich ein bisschen überrascht über diesen dritten Akt des Schauspiels: Wo ich hinsehe – Heldentaten. So viel
Kraftaufwand
. Wirklich, du machst es dir viel schwerer, als es sein muss.«
»Was mach ich mir schwerer, als es sein muss?«
Wo ist die Tür, durch die ich hier reingekommen bin?
»Das Sterben natürlich.«
»Ich werde nicht sterben. Dr. X heilt mich!«, rufe ich.
»Es gibt keinen Dr. X, du Schwammkopf«, sagt der Abrechner. »Diese ganze Geschichte – ist in deinem Kopf, verstehst du. Eine notdürftig zusammengebastelte Fantasie aus dem Schrotthaufen deines Lebens, Mann.«
»Und wer ist das dann?« Ich deute auf Dr. X auf dem Bildschirm.
»Warum müssen wir sterben, wenn jedes einzelne Teilchen in uns dazu bestimmt ist zu leben?«, sagt Dr. X wie eine kaputte Platte. »Eine Tragödie unter dem Deckmantel einer Komödie.«
»Irgendein Kerl, den du mal im Internet gesehen hast.«
»Das ist nicht wahr. Diese Mitarbeiter der Vereinigten Schneekugel-Großhändler –«
Der Große Abrechner haut mit der Hand auf den Tisch und die Schneekugeln kommen ins Zittern.
»Gibt. Es. Nicht. Nur eine Einbildung deines schwammigen Gehirns – sozusagen der Kojote an deinem Arsch.«
»Nein.« Verzweifelt sehe ich mich im Raum um.
»Oh, Cameron. Sag mir nicht, dass du’s noch nicht verstanden hast.« Er klopft an meinen Schädel. »Hallo? Kommt irgendwas davon da drinnen an?«
»Au! Hör auf!«
»Sorry. Meine Schuld.« Er seufzt und zupft ein paar Fussel von seiner glänzenden Hose, und ich schwöre mir, dass ich niemals solche Hosen tragen werde, wenn ich hier lebend rauskomme. »Cameron. Was glaubst du, worum es bei diesem ganzen Trip ging, Mann? Um die Suche nach Heilung? Um die Rettung der Welt? Mann, ich bitte dich. Darum geht’s.«
Er wirft mir ein zerknülltes Blatt Papier vor die Füße. Es istJuniors Botschaft, die ich damals in Hope, zusammen mit Dulcie, an den Wunschbaum gesteckt hatte.
»Lies es laut vor, Mann.«
»Ich will leben.«
»Na, da haben wir’s doch!« Er lächelt.
»Aber … Dr. X sollte mich heilen …«
»Für dieses Leben gibt es keine Heilung.« Eine Minute lang setzt sich der Abrechner auf den Klappstuhl. Er streckt seine langen Beine aus, nimmt das Schwert aus der Scheide und poliert es mit einem Hemdzipfel. »Du hast das Beste aus deinen Möglichkeiten gemacht.«
»So ein Blödsinn! Mein Wunsch sollte in Erfüllung gehen!« Ich muss weinen und kann nichts dagegen tun.
Der Große Abrechner poliert weiter. »So ungefähr.«
»Hä?«
Seiner Kehle entweicht ein Laut, der sich wie eine Mischung aus Knurren und Seufzen anhört. Ich langweile ihn. »Also. Richtig. Rekapitulieren wir«, sagt er, stellt die Waffe weg, verschränkt die Finger ineinander und legt die Hände an den Hinterkopf. Mein Kopf. Sein Kopf. Scheiße. Ich weiß nicht mehr, wo mir der Kopf steht. »Hast du in den vergangenen beiden Wochen gelebt?«
»Ich lebe jede Woche!«, wende ich ein.
»Nein. Du existierst. Die Frage ist, hast du gelebt?«
Für einen Augenblick höre ich auf zu streiten und denke darüber nach, was er mich gefragt hat. Habe ich gelebt? Ich habe
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