Ohne Ende Leben - Roman
hinaus, laufe am Speedway vorbei, bis schließlich die bunten Planeten von
Tomorrowland
vor mir auftauchen. Mist. Ich ringe nach Luft und sehe die Umgebung nur noch verschwommen. Hinter mir höre ich Gebrüll und Geschrei. Die Schneekugelmänner sind nahe.
In den Warteschlangen steht man überall mindestens zwanzig Minuten. Außer bei der
Tomorrowland -Transit
bahn.
»Entschuldigen Sie bitte!«, rufe ich, wanke die Rampehoch und drücke mich an den wenigen Leuten in der Schlange vorbei. Bevor irgendjemand protestieren kann, hüpfe ich auf das laufende Förderband, am Aufseher vorbei, der nur ein schwaches »Hey, pass auf!« von sich gibt, und falle auf einen Sitz. Als die Bahn in einen Tunnel gleitet, mache ich mich klein, damit ich nicht gesehen werde. Mein Herz rast wie das Schlagzeugsolo im
Cypress Grove Blues
. Ich befinde mich im Alarmzustand, die Augen offen, die Ohren offen, total wach und total lebendig. Ich warte auf ein Signal, ein Zeichen, dass ich am richtigen Ort bin. Die Stimme eines Erzählers dröhnt durch die Dunkelheit. Er hört sich an, als ob er in einer alten Wochenschau Autos verkaufen müsste. Vor einem Fenster, hinter dem sich ein Diorama von
Tomorrowland
erstreckt, wird der Zug langsamer. Der Sprecher sagt uns, dass wir eine Zukunftsvision sehen: einen Ort, an dem Menschen leben, arbeiten und in Frieden miteinander spielen können. Einige Plakate zeigen Maschinen, die uns Arbeiten abnehmen. Roboter. Eben das übliche Sci-Fi-Zeugs. Ich nehme an, das war einmal topaktuell. Es war ein Traum.
Die Bahn rumpelt um eine Kurve und plötzlich wird es im Tunnel ganz dunkel. Ich sehe die Hand vor meinen Augen nicht. Das Herz rutscht mir in die Hose. Ist es das? War es das?
»Dulcie?«, rufe ich in die Dunkelheit. Stille. Und dann beginnt der Meteoritenschauer. Als ob die Finsternis Tränen aus buntem Licht weint.
Die Bahn fährt jetzt nur noch im Schneckentempo, und ich bin mir ziemlich sicher, dass sie sie anhalten, um mich zu suchen. Sie können nicht weit hinter mir sein. Auf unseren Gesichtern blinken Lichtspuren, und ich könnte schwören, dass ich draußen, rechts von mir, die Silhouette einerTür sehe. Ein weiterer Lichtstrahl zerreißt die Finsternis und ich sehe sie noch einmal. Da ist eine Tür, ganz klar, und genau in ihrer Mitte ist eine Feder. Ruckweise geht die Fahrt weiter. Jetzt oder nie.
»Hey, ich glaub nicht, dass du das tun solltest«, sagt der Mann hinter mir, als ich über die Seitenwand klettere und rausspringe. Die Stimme des Sprechers donnert in der Dunkelheit wie die irgendeines gefallenen Gottes. Ich drücke die Tür auf und die plötzliche Helligkeit erschlägt mich fast.
KAPITEL FÜNFZIG
In dem ich
Tomorrowland
besuche
Eine Minute brauchen meine Augen, um sich an die Helligkeit zu gewöhnen. Hoch über mir knirschen riesige Zahnräder und halten den Fahrbetrieb am Laufen. Hinter mir ist die Tür. Vor mir beginnt ein langer Tunnel.
Ich laufe los. »Dulcie?«, rufe ich laut. »Dulcie!«
Der Tunnel windet sich und endet an einer Tür mit einem aufgemalten großen X. Ich stoße sie auf. Im Raum dahinter befindet sich ein nüchternes weißes Labor mit einem gigantischen Bildschirm. In der Mitte stehen ein chaotischer Schreibtisch und ein Stuhl. Ich habe diesen Raum schon mal flüchtig gesehen, auf meinem Computer. FolgederFeder.com. Auf dem Klappstuhl am Schreibtisch sitzt ein Mann im Laborkittel. Er liest in einem Anzeigenblatt und bedient sich aus einer Schüssel mit Jelly Beans. Auf dem Bildschirm hinter ihm ist genau dieselbe Szene zu sehen.
»Dr. X?«, flüstere ich.
Er schaut vom Bildschirm auf mich herab und in echt wirft er mir einen kurzen Blick zu. »Ja? Kann ich dir helfen?« Er ist kleiner als auf den Videos und Fotos, die ich kenne, andererseits jedoch sieht er genauso aus, als ob er keinen Tag älter geworden wäre. Aus einem kleinen Blechradio tönt die Musik der
Copenhagen Interpretation
.
»Ich – ich hab nach Ihnen gesucht.«
»Hast du?«
»Ja. Ja!«, sage ich und lache. Mein Lachen klingt nach einer seltsamen Mischung aus Erleichterung und Glücksgefühl. »Ich hab Zeitungen gelesen und die Kleinanzeigen angeguckt, hab nach Hinweisen und Zeichen gesucht, die dem Zufall einen Sinn geben – und das alles, um Sie zu finden.«
Dr. X zieht die Augenbrauen zu einem wirren Knäuel zusammen. »Warum?«
»Sie sind Dr. X«, sage ich. »Sie werden mich wieder gesund machen.«
»Ich kenne nicht mal deinen Namen.«
»Cameron Smith. Ich
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