Ohne Ende Leben - Roman
mein Dad hat sich nichts aus Kindern gemacht, vor allem nicht aus einem Zwergenkind.«
»Oh«, sage ich.
»Hey, magst du die
Copenhagen Interpretation
?«, fragt Gonzo. »Hab den Remix von
Words for Snow
. Hast du den Werbespot für
Rad XL
gesehen, den sie mit dem Song unterlegt haben? ›Wenn du all die anderen Limos satthast!‹? Das ist
die Härte,
Mann! Hey, magst du
Star Fighter
?«
»Wer nicht?«
»Ich kenn den ganzen Film auswendig, Mann! Meine Lieblingsrolle? Wenn Odin sagt ›Diese
Star Fighter
sind die ganzen Mühen nicht wert. Ihr werdet ihnen helfen zu entkommen‹ und wenn er die Wächter total hypnotisiert, damit sie die Typen gehen lassen. Mann, ich wollte, ich könnte das mit Mrs Rector machen. ›Das sind nicht die Noten, die Sie mir geben wollen, Lehrerlein. Sie werden mir ein besseres Zeugnis verschaffen oder Sie spüren dengerechten Zorn meiner ultimativen Friedenswaffe.‹ Affengeil. Hey, hast du –«
Wieder läutet das Telefon. Gonzo beißt die Zähne zusammen. Er starrt den Apparat an, als ob er Angst davor hat. Diesmal lässt er es viermal klingeln. »Hi, Mom«, sagt er mit einem tiefen Seufzer. »Was hast du? Mom. Warum? Warum hast du im Internet nach dem Nährstoffgehalt des Krankenhausessens geguckt? Auf keinen Fall. Nein, haben sie
nicht
. Sie müssen den Tisch von Speisekrümeln säubern, bevor sie Hähnchen zubereiten, okay? Schließlich ist das ein Krankenhaus. Ich bin mir sicher, dass sie supervorsichtig sind.
No hago esto
. Ich frage nicht nach einer Adrenalinspritze. Mom! Du hörst mir nicht zu …«
Ich drehe mich um, stülpe mir den Kopfhörer über:
Great Tremolo
. Ein Knopfdruck – und die vertraute Flöten-und-Helium-Stimme meines Lieblingskitschmusikers ertränkt Gonzos zunehmend verzweifelten Streit mit seiner Mutter. Die Melodien stürzen und fallen, als ob jemand zu singen versucht, während er sich freut. Das war das Einzige, was mich in den vergangenen zwei Wochen glücklich gemacht hat, und davon werde ich nicht lassen.
KAPITEL FÜNFZEHN
Handelt davon, was passiert, wenn ein wahnsinnig wichtiger Auftrag auf mich zukommt oder vielleicht auch nur der nackte Wahnsinn. Weil manchmal der Unterschied kaum zu erkennen ist.
Als ich aufwache, schläft Gonzo, und meine Eltern müssen aus dem Zimmer gegangen sein. Die Ecken des Raums werden durch einen weißen Lichtschein weicher. Der strahlende Glanz wird so stark, dass ich meinen Arm vor die Augen halten muss.
»Hallo, Cameron.«
Das Strahlen flaut ab und sie steht am Ende meines Bettes – die Eine, die mir überallhin folgt und gefiederte Botschaften hinterlässt. Ich sehe die zerrissenen Netzstrümpfe, den karierten Minikilt, den blanken, genieteten Brustpanzer mit Lederriemen an den Seiten und ein abgewetztes
Great
Tremolo
-Klebetattoo nahe der linken Schulter. Ihre Flügel sind irre schwarz-weiß kariert, wie ein Schachbrett, als ob das Muster aufgesprüht worden ist. Sehen aus wie obercoole Sneakers.
Brauchst nur zu blinzeln und die Halluzination verschwindet, Cameron.
Ich schließe die Augen ganz fest und öffne sie wieder, und sie ist immer noch da, fröhlich und funkelnd und lächelnd.
»Hallooooo«, trällert sie und droht mir mit dem Finger.
»Bitte«, krächze ich. »Ich – ich bin noch nicht bereit.«
»Nicht bereit wofür?« Sie setzt sich direkt neben mich aufs Bett und hakt die Absätze ihrer Springerstiefel am Metallrahmen ein. Sie zieht eine Tüte mit Süßigkeiten hinter ihrem Brustharnisch hervor und bietet sie mir an. »Schokoleckerli gefällig?«
Mir entweicht ein ungewollter quiekender Lacher. »Du bist nicht wirklich. Du bist ne Halluzination.«
»Erscheine ich dir im Augenblick wirklich oder nicht?«
Ich nicke.
»Na, sag ich’s doch.« Sie schlingt eine Handvoll Schokoleckerli hinunter. »Oh, meine Güte, die sind wirklich toll! In der Werbung wird ja so oft gelogen. Aber die sind wirklich beides – schokoladig
und
lecker.« Sie ertappt mich, wie ich ihre Flügel anstarre. »Mach schon. Kannst sie berühren, wenn du willst.«
»Mhm-mhm«, sage ich entschieden. Wenn ich sie nicht berühre, gibt es sie nicht.
Sie rutscht näher und trällert: »Du weißt, dass du willst …«
»Okay, kannst du damit aufhören? Das gibt mir das Gefühl, eine schmutzige Fantasie zu haben.«
Sie tut so, als ob sie ihre Lippen versiegelt.
»Ist nicht bös gemeint, aber das ist doch nur« – ich hole tief Luft und meine Finger bewegen sich in Richtung ausgebreitete Flügel – »ist doch
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