Ohne Ende Leben - Roman
Für den Augenblick hat es die Botschaft verstanden. Wir gehen um die Ecke – und da sind die Treppen.
Aus irgendeinem Grund drehe ich mich um und lasse den Blick ein letztes Mal über den Flur schweifen. Glory hat die Schwesternstation verlassen. Mit einem Klemmbrett in der Hand macht sie sich auf ihre Runde. In höchstens fünfzehn Minuten wird sie in unser Zimmer einbiegen, um Blutdruck/Temperatur/Puls zu messen, und dann wird die Hölle losbrechen. Ich hätte gern einen größeren Vorsprung. Scheiße.
»Was ist los?«, fragt Gonz.
»Los, Beeilung!«, sage ich und dränge uns ins Treppenhaus, auf den langen Weg nach unten.
Als uns die hydraulische Eingangstür von St. Jude’s in die Welt entlässt, wechseln die Himmelsfarben des Sonnenuntergangs gerade von Blau nach Lila. Über den Lampen auf dem Parkplatz, die aussehen wie Gottesanbeterinnen, flimmern scheue Sternchen, als seien sie sich nicht sicher, ob sie ihre ganze Helligkeit jetzt schon zeigen sollen. Die Luft ist warm und süß. Ich atme so tief wie möglich ein. Es tut auf eine gute Weise weh, als ob meine Innereien mächtig gedehnt würden.
»Ah, Scheiße, Mann, koste mal diese Luft. So gut!«
»Ja, ja. Und was nun?«, fragt Gonzo und schaut nach links und nach rechts wie ein Verbrecher auf der Flucht.
»Wir müssen hier raus. Hast du dein Handy?«
Er klopft auf seine Tasche. »Ja.«
»Großartig. Ruf ein Taxi.«
»Was für ne Nummer?«
»Weiß nicht. Ruf die Auskunft an.«
»Das macht einen Dollar fünfundsiebzig, ungefähr. Meine Mutter wird mich umbringen.«
»Gonzo, sie wird dich umbringen, weil du aus dem Krankenhaus getürmt bist und mit mir auf eine außerplanmäßige Geschäftsreise gehst. Glaubst du nicht, dass ein Anruf bei der Auskunft irgendwie nebensächlich ist?«
»Ich wusste, dass das eine schlechte Idee war«, grummelt Gonzo, tippt aber trotzdem die drei Ziffern ein, und zehn Minuten später gabelt uns ein ramponiertes Taxi in der Eldorado Street auf, zwei Blocks vom Krankenhaus entfernt.
»Wohin?«, fragt der Typ und klopft auf das Taxameter.
»Gute Frage.« Gonzo starrt mich wütend an.
Das wäre ein guter Zeitpunkt für Dulcie. Sie könnte sich zeigen, ein bisschen himmlisch intervenieren und ihr Gelddorthin stecken, wo ihr »Es gibt keine Zufälle, mein Freund«-Mund ist.
Das Taxameter springt wieder fünfzehn Cent weiter und wir sind noch nicht einmal losgefahren. Ich warte auf ein Zeichen. So weit ist es gekommen: Ich glaube jetzt an übernatürliche Erscheinungen von Punkrockengeln, an allerletzte Versuche, die Welt/mein Leben zu retten, und an zufällige Zeichen, die uns den Weg weisen. Genau. Ich bin fast dabei zu sagen: »Okay, ihr habt mich erwischt – das Spiel ist aus. Fahren wir zurück zum Krankenhaus und lachen darüber bei einem hübschen Cafeteriatablett mit rätselhaftem Rindfleisch in Aspik.« Aber in dem Moment sehe ich etwas über den Dächern glitzern. Ein Zeichen, okay. Eine große schäbige Plakatwand, die für die
Roadrunner Bus Company
wirbt: Der lächelnde Roadrunner in voller Fahrt, so schnell, dass er eine Feder verliert. FOLGE DER FEDER ZUR BIFROST ROAD, sagt das Zeichen.
Folge der Feder
.
Keine Trompeten, keine Donnerschläge, aber für den Augenblick genau das Richtige.
»Busdepot«, sage ich schließlich und hoffe, dass die Prionen in meinem Hirn richtigliegen.
Das Busdepot besteht aus dreckigen Fliesen, alten Plastikbänken, halb leeren Süßigkeitenautomaten und überquellenden Abfalleimern. Hier arbeiten Leute, denen die Chance auf einen Job in der Hölle oder im Busdepot geboten wurde und die beim Münzwurf verloren haben. Außerdem stinkt’s nach Pisse.
Ein grauhaariger Mann in Hausmeisterkittel schrubbt schmutziges Wasser mit einem noch versiffteren Wischmopp über den Boden. Eine leere Informationstafel hängtvon der niedrigen Decke des nahezu verwaisten Raums. Keine Busse. Keine Info. Nichts los.
»Was jetzt?«, fragt Gonzo.
Der Mann hinterm Fahrkartenschalter schiebt nicht mal die kleine Trennscheibe beiseite, als wir davortreten.
»Hi«, sage ich, »ähm, auf der Informationstafel steht nichts.«
»Ach ja.« Er blättert die Seite seines Comichefts um, ohne hochzugucken.
»Großartig. Vielen Dank für die Auskunft«, brummelt Gonzo.
»Wann geht der nächste Bus?«, frage ich.
»Nich vor fünf nach siebn morgen früh. Aber hierbleibn könnt ihr nich. Zehn Minuten, dann wird geschlossen. Öffnen erst wieder ab sechs.«
»Okay, danke.« Ich gehe weg und
Weitere Kostenlose Bücher