Ohne Ende Leben - Roman
lasse mich auf eine Bank fallen.
»Ich hab dir gesagt, dass das Scheiße ist.« Gonzo zieht sich einen Sprühstoß Asthmamittel rein.
Zeichen, Zeichen. Dulcie sagte, wir sollten nach »scheinbaren Zufällen« suchen. Wie sucht man nach einem Zufall? Gewöhnlich findet doch der Zufall uns und ist gerade deswegen zufällig.
Ein graugesichtiger Typ mit ausgehöhlten Wangen, der nach Pisse riecht, sitzt neben uns. Es ist derselbe Kerl, den ich am Abend, als wir bei
Luigi’s
waren, auf dem Parkplatz gesehen habe. Er trägt immer noch seinen Blechhut. »Was macht’n ihr Jungs?«
»Die Welt retten«, sagt Gonzo und wendet sich ab.
»Ah. Gut. Es geht zu Ende, wisst ihr. Alles geht den Bach runter. Deshalb hab ich mir so ein Ding aufgesetzt.« Er zeigt auf seine zerknautschte Silberkappe.
»Hank, lass die Jungs in Ruhe, sofort.« Der Typ mit dem Mopp hat uns erreicht.
»Verpiss dich«, bellt der alte Mann. Er holt eine Tasche hervor und inspiziert den Inhalt.
»’tschuldigung«, sagt der Hausmeistertyp. »Könnt ihr mal bitte eure Füße heben? Muss diesen Fleck wegwischen.«
Pflichtbewusst heben Gonz und ich die Beine wie eine Zugbrücke und er wischt unter uns durch.
»Es fährt kein Bus mehr heut Nacht, Alter«, sagt Gonzo. »Gib’s auf!«
Der alte Penner hört auf, in seiner Tasche herumzuwühlen. »Doch. Es fährt einer. Er wartet unten.«
Fragend schaue ich den Mopptypen an. Er unterbricht die Arbeit gerade so lange, dass er sich mit dem Arm über die schweißnasse Stirn wischen kann. »Na ja, da fährt noch einer heut Nacht, aber er steht nicht auf dem offiziellen Fahrplan. Ist ne private Linie, Die
Fleur-de-Lys
.«
»Das klingt wie ein Porno«, flüstert Gonzo nervös. »Klingt das für dich nicht wie’n Porno?«
Ich beachte ihn nicht. »Wo geht’s hin?«
»Wo denkst du, dass es hingeht?«, sagt der Penner. »New Orleans. Das da ist der Mardi-Gras-Bus, mein Sohn. Wir haben bald Mardi Gras.«
»Danke.«
»Keine Ursache«, sagt er. »Wenn schon die Welt untergeht, kann man ebenso gut Spaß haben.«
»Gonz«, sage ich und wühle in meiner Tasche nach Geld, »was hältst du von New Orleans?«
»Was? Du weißt nicht sicher, ob das der richtige Bus ist?«
»Nein, weiß ich nicht. Aber es ist der einzige Bus. Schau mal, ich weiß, dass scheint alles ein bisschen bescheuert …«
»Nein, Alter. Ich würde mich wahnsinnig freuen, wenn dieser Plan bescheuert wäre. Aber er ist einfach nur absolut irrsinnig.«
»Du hast recht. Es ist das absolut Irrsinnigste, was ich jemals in meinem Leben getan habe. Also kaufe ich zwei Fahrkarten oder eine?«
Gonzo reibt seine Spraydose wie einen Talisman. »Okay. Ich bin dabei. Aber wenn wir diesen Dr. X in New Orleans nicht finden und erfahren, was er für mich tun kann, sitz ich im ersten Bus zurück.«
»In Ordnung.«
Ich öffne mein Portemonnaie. Meine Kreditkarte – die, die mir mein Vater gegeben hat, um meine finanzpolitische Verantwortung zu schulen –, meine Kreditkarte ist noch da. Mein Kreditlimit liegt bei satten fünfhundertfünfzig Dollar.
Ich renne zum Schalterfenster und klopfe an die kugelsichere Scheibe. Der Mann dahinter schaut kaum hoch. »Ja?«
»Was kosten zwei Tickets für den Fleur-de-Lys?«
Mit einem Seufzer legt der Mann sein Buch beiseite. »Mit Steuern macht das zweihundertachtundsiebzig Dollar und zweiundfünfzig Cent«, sagt er.
Er liest die Kreditkarte ein, lässt mich unterschreiben, gibt uns die Tickets, und Gonzo und ich rennen zum letzten Bus der Nacht.
KAPITEL ACHTZEHN
In dem wir einen Halt in New Orleans einlegen, sich Gonzo weigert, Fisch zu essen, und damit die Kacke in mir und in unserer Kellnerin zum Dampfen bringt
Auf dem Trip von Texas nach New Orleans schlafe ich die meiste Zeit. Ab und zu öffne ich die Augen und erhasche flüchtige Traumbilder der Welt. Tankstellen, die zu jeder Tankfüllung Plastiktassen gratis dazugeben. Überfüllte Einkaufsstraßen, in denen immer wieder die gleichen Läden und Restaurants stehen. Abgemagerte Hunde, die sich durch Abfall wühlen. Mit Müll übersäte Sumpfgebiete. Holprige Landstraßen, die sich unter halb fertigen Highways hindurchschlängeln. Fabriken, die giftige Rauchwolken ausstoßen. Für einen Augenblick überlege ich, ob dieser Planet wirklich gerettet werden sollte. Kurz vor dem Morgengrauen wache ich lange genug auf, um zu sehen, dass wir über eine gigantische Brücke fahren, die sich ins Unendliche zu erstrecken scheint. Wir sind von Wasser
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