Ohne Ende Leben - Roman
Lidschatten bemalt. Sie trägt falsche Wimpern und ihr Haar ist rotgelockt und hochgesteckt. Enormer Haarschopf. Enormer Schmuckbehang. Enorme Hände. Boah! Wirklich enorme Hände. Zwischen den Mammutfingern hält sie eine Zigarette.
»Hey, Süßer, gibst du mir mal Feuer?«, fragt sie mit tiefer Stimme.
Ich drehe mich um, aber die Typen, die wir hinter uns vermuteten, haben sich eine andere Ecke gesucht. Unter dem Licht einer Straßenlampe üben sie Tanzschritte und lachen, wenn einer von ihnen was verkorkst. Sie sind in etwa so bedrohlich wie eine Boygroup, und ich fühle mich wie ein absolut paranoider Idiot, weil ich mich da so reingesteigert habe.
»Wenn ihr schon hier rumsteht, könnt ihr euch auch nützlich machen. Habt ihr Feuer?«, fragt die Lady.
»Gonzo«, sage ich, »Streichhölzer.«
Gonzo gibt der Lady die Streichhölzer. Die zieht einen Schmollmund. »Zuckerpüppchen, eigentlich solltest du die Zigarette eines Mädchens anzünden und es nicht mit Streichhölzern bewerfen. Hat dir deine Mama nichts beigebracht?«
»’tschuldigung«, sagt er.
»Ist schon gut«, sagt sie und zündet sich die Zigarette selbst an. Jesus, ist die Frau groß! Gonzo reicht ihr gerade mal bis zur Kniescheibe und ich geh ihr nur bis zur Taille. »Was macht ihr kleinen Pfadfinder hier draußen? Das ist keine gute Gegend, Kinderchen. Ich wurde hier mal ganz bös niedergestochen.«
»Wir suchen das
Golden Trumpet
«, erzähle ich ihr und zeige auf das Streichholzbriefchen. »Es sollte hier in der North Rampart Street sein.«
»Seit ungefähr viertausend Jahren gibt’s das hier nicht mehr. Es ist weitergezogen. Bleibt nie an einer Stelle. Man muss wissen, wo man danach suchen muss.« Die Lady blickt durch ihren Tabakrauchschleier auf uns herab und mustert uns von Kopf bis Fuß. »Wie kommt ihr denn dazu, ins
Golden Trumpet
zu wollen?«
»Wir wollen den Ort sehen, an dem Junior Webster gespielt hat«, sage ich.
Die Augen der Dame werden größer. »Junior Webster. Der Name ist mir lange, lange Zeit nicht zu Ohren gekommen.«
Irgendjemand brüllt vom Balkon herunter: »Miss D! Wir brauchen mehr Bier!«
»Hol’s dir selber, Süßer! Ich bin beschäftigt«, ruft sie zurück. »Und, äh, wie, glaubt ihr, wollt ihr denn genau ins
Golden Trumpet
reinkommen – das heißt,
falls
ihr es überhaupt finden könnt? Ihr zwei seid ja noch nicht mal alt genug, um euch zu rasieren.«
»Sind wir doch«, insistiert Gonzo und fühlt sich in seinem kleinen männlichen Stolz tief verletzt.
Sie reibt mit dem Finger über Gonzos weiche Wange. »Hm-hmmm.«
»Wir wollen nichts trinken. Wir wollen nur den Ort sehen, an dem Junior Webster gespielt hat. Mein Freund Eubie hat gesagt, wenn ich jemals nach New Orleans komme, muss ich das tun.«
»Hat er das gesagt?« Durch ihre ausgeatmete Rauchwolke wirft sie uns einen prüfenden Blick zu. »Hat dein Freund dir gesagt, wie ihr das
Golden Trumpet
findet?«
»Nein«, muss ich gestehen.
»Äh-hmm, hm-hmmm«, sagt Miss D bedeutungsvoll. Sie wirft die Kippe auf den Gehsteig und zerdrückt sie anmutig mit ihrem riesigen Fuß, der einem Basketballspieler gehören könnte.
»Wir können euch doch nicht zurückschicken, ohne dass ihr was zu erzählen habt, nicht wahr? Keine Sorge, meine Engel. Miss Demeanor wird euch mit Junior bekannt machen.«
Ich weiß nicht, was sie damit meint. Eubie hat mir erzählt, dass Junior Webster tot ist. Vielleicht meint sie, dass sie uns zum Club bringen wird.
»Also los, kommt mit, ihr Heimchen.« Miss Demeanor tänzelt den Gehsteig entlang und wir laufen hinter ihr her.
»Ey, Mann, Sie sind wirklich groß«, sagt Gonzo.
»Ja, Kindchen, das bin ich wirklich«, lacht sie lauthals.
»Gonzo«, flüstere ich eine Minute später. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass Miss Demeanor ein Kerl ist.«
»Klar. Ich wusste das.« Aber ich sehe, dass er es nicht wusste, weil er jetzt versucht, sie heimlich zu beäugen, um sicherzugehen.
An jedem anderen Ort der Welt wären wir drei ein wahres Spektakel, aber mit der Zeit wird mir klar: Je schräger du in New Orleans drauf bist, desto mehr gehörst du dazu. Als ob die ganze Stadt ein Zirkus ist. Ungefähr einen Block weiter sind wir wieder in dieser Nonstop-Party namens Mardi Gras.
Von einem dunklen Torweg her ruft ein Türsteher: »Hey, Miss D, wie geht’s, Darling?«
»Wie’s mir immer geht, Kindchen – guuuuut!« Sie lacht, als sie das sagt, und er lacht zurück.
Miss D führt uns aus dem chaotischen Gedrängel auf
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