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Ohne Ende Leben - Roman

Ohne Ende Leben - Roman

Titel: Ohne Ende Leben - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Libba Bray
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wegschleppt.
    Der Bodyguard lässt mich rein und schließt die Tür hinter mir. Ich bin in einem kleinen, von einer roten Glühlampe beleuchteten Vorraum. Auf einem Beistelltisch brennt ein Dutzend dieser weißen Kerzen, die es in alten Kirchen gibt. Das Wachs hat an den Kerzenrändern dicke Klumpen gebildet. Über dem Tisch hängt ein mit Wasserfarben gemaltes Bild von Junior und dem schwarzen Loch. Ich habe das Motiv schon auf dem Cover der
Cypress Grove Blues -LP
gesehen, die mir Eubie in seinem Laden gezeigt hat. Im Zentrum des Bildes befindet sich ein großer weißer Ring, genau wie auf dem Album. An einem Reißnagel hängen ein paar Karnevalsgirlanden. Und dann klebt da noch ein Bild in der unteren rechten Ecke. Als ich es sehe, blinzle ich. Ich könnte schwören, dass es genauso aussieht wie das von Eubie mit seiner Harlekinmaske in der Bourbon Street.
    »Ist da jemand?«, ruft eine raue Stimme.
    Ich ziehe einen Vorhang zur Seite. Im Raum dahinter ist nichts weiter als zwei Sessel in der Nähe einer einzelnen Glühlampe. Junior Webster sitzt in einem davon und poliert seine Trompete. Er sieht aus wie ein Hundertjähriger. Seine faltige, schwarze Haut erinnert mich an schneebefleckte Lederschuhe. Er trägt denselben Anzug wie auf dem Bild mit demselben Strohhut und der schwarzen Sonnenbrille.
    »Komm her und nimm Platz«, krächzt er. »Ich werd dich schon nicht beißen.«
    »Sie sind wirklich Junior Webster?«, sage ich und setze mich neben ihn.
    Junior kichert. »Schon mein ganzes Leben.«
    »Schön, Sie zu sehen, Sir.«
    »Freut mich auch, dich zu sehen, Cameron.«
    »Sie kennen meinen –?«
    »Alles zu seiner Zeit, alles zu seiner Zeit. Alles hängt mit allem zusammen, mein Freund, und wir haben ne Menge gemeinsam.« Junior klemmt sein Instrument unter den Arm. Er nimmt meine Hände und legt sie in seine. Die Innenseiten seiner Handgelenke sind stark vernarbt. »Du hast sie gesehen, stimmt’s?«
    »Was gesehen?«, sage ich und denke, er meint seine Narben.
    »Nicht was. Wen.« Junior entblößt funkelnde Zähne. »Feuerriesen.«
    Mein Mund wird trocken. »Sie kennen sie auch?«
    Junior nickt bedächtig. Er lässt meine Hände los und poliert wieder seine Trompete. »Oh ja, mein Freund, ich kenne sie. Widerliche Wesen. Du wirfst ihnen einen heimlichen Blick zu, und schon glaubst du, du würdest vor Angst verbrennen. Das ist wie’n Blick in ne andere Welt jenseits der unseren. Okay, diese Feuergötter sind zwar furchtbar, aber sie sind nicht das Schlimmste. Sie arbeiten für den Big Boss.« Er neigt sich zu mir: »Den Großen Abrechner.«
    Der Name und die Art, wie er ihn erwähnt, treibt mir Gänsehaut auf die Arme. »Wer ist das?«
    »Du hast ihn gesehen. In deinen Träumen. Auf ner nächtlichen Straße vielleicht.«
    »Der Typ in der schwarzen Rüstung, die aussieht wie’n Raumanzug, mit Helm und Schwert?«
    Junior spitzt die Lippen. »Wenn du ihn so gesehen hast. Er erscheint jedem anders.«
    »Wer ist er?«
    »Einer, der nicht von hier ist. Einer, der sich ungern abwimmeln lässt. Einer, mit dem du irgendwann aneinandergerätst, ob du willst oder nicht. Er und seine Feuergang versuchen seit Jahren, meine Trompete in die Hände zu bekommen.«
    »Warum wollen sie Ihre Trompete?«
    »Meine ganze Leidenschaft schwingt in den Tönen. Ich blas nicht nur Luft durch dieses Mundstück, sondern das ist meine Seele! Eines Tages wird er kommen, um mich zu holen, und dann werd ich blasen, wie ich noch nie zuvor geblasen hab, und dann werden wir sehen, ob’s reicht. Du suchst Dr.   X, stimmt’s?«
    »Woher wissen Sie das?«
    »Hab ihn mal getroffen. Im Krankenhaus, nach dem Krieg. Du und ich, wir haben ne Menge gemeinsam.«
    »Warten Sie – wie können Sie all das wissen? Wie können Sie bereits Dr.   X getroffen haben, wenn Dulcie sagt, dass sich das Wurmloch gerade erst geöffnet hat   –«
    »Zeit und Raum, mein Sohn, halten sich nicht immer an die Regeln, die du kennst, und Dr.   X hat ne Menge Regeln verbogen«, antwortet er. »Ich hab ihn damals getroffen. Und du suchst ihn jetzt.« Er legt die Fingerspitzen aneinander.
Alles hängt mit allem zusammen
.
    »Genug geschwätzt. Will dir was Kleines zeigen. Nimm meinen Arm.«
    Ich helfe dem großen Junior Webster aus dem Sessel. Er mag gebrechlich wirken, aber in diesem Arm steckt noch ne Menge Kraft. Ich muss Eubie davon erzählen, wenn ich zurückkomme.
    Junior zieht beim Gehen ein Bein nach. »Das Humpeln kommt vom Krieg. Bin drüben gewesen, um für

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