Ohne Ende Leben - Roman
über das, was in Restaurantküchen abgeht. Du willst das gar nicht wissen.«
»Hast recht. Will ich nicht. Vielleicht sollte deine Mom damit aufhören, solche Kacke zu lesen, die nur dazu da ist, die Leute kirre zu machen.«
Gonzos Gesichtsausdruck verdunkelt sich. »Erzählst du Scheiße über meine Mom? Wenn deine Eltern mehr auf Zack gewesen wären, hättest du vielleicht keinen schlechten Burger oder was auch immer gegessen und du hättest keine Löcher in deinem Hirn gekriegt.«
»Wie freundlich.«
»Ich mein ja nur.«
Wir starren uns über die fast leere Crackerschüssel hinweg an.
»Weißt du was? Halten wir einfach unseren Mund«, sage ich.
Gonzo zuckt mit den Achseln. »Nichts dagegen,
pendejo
.«
Die Kellnerin bringt unser Essen und ich haue rein wieein Besessener. Gewöhnlich bin ich kein großer Feinschmecker, aber dieser Fisch ist einfach toll – als ob ich das erste Mal in meinem Leben etwas wirklich schmecke. Gonzo schnüffelt mehrmals an seinem Käsesandwich und beißt zögernd rein.
Als wir die Nachspeise gegessen haben und uns zu Fuß auf den Weg ins French Quarter machen, ist es bereits Nacht. Nun, da ich satt bin und so viel Trubel um uns herum ist, vergesse ich den Ärger mit Gonzo, und ihm geht’s wahrscheinlich ähnlich mit mir. Wir werfen uns einfach nur diese albernen »Boah! Guck dir das an!«-Grinser zu. Es ist wie in einer anderen Welt – all diese alten Häuser mit den Veranden, auf denen Menschen sitzen, die die vorbeiflanierenden Touristen betrachten. Die Straßen von New Orleans sind wie eine Collage. Auf ihnen tummeln sich alle möglichen Arten von Menschen. Dinge und Farben stoßen zusammen, gehen ineinander über, bis aus dem Gewirr etwas Neues entsteht. Studenten torkeln aus Bars und halten noch ihre Cocktailgläser in der Hand. Ein Mädchen mit einem Pferdeschwanz beugt sich über eine Mülltonne und kotzt. Straßenmusiker konkurrieren um Aufmerksamkeit: ein Gitarrenspieler mit Zylinder versucht eine Geigerin auszustechen und beide werden wiederum von einer Percussion-Combo ein paar Meter weiter überdröhnt.
»Ich seh verdammt noch mal nichts, Alter«, beschwert sich Gonzo.
Wir finden eine Lücke in der Menge. Ich zwänge mich durch und ziehe Gonzo hinter mir her. Wir bringen uns ganz vorne in Stellung. Als sich das Pärchen beschwert, das wir zur Seite gestoßen haben, deute ich auf Gonzo. »Seine Mom ist auf einem der Festwagen. Ich hab versprochen, ihn hierherzubringen«, lüge ich, und die betrunkene Frau wirdganz sentimental und fängt an, Gonzo Kinderlieder vorzusingen. Das ergibt zwar keinen Sinn, aber wenn ich irgendwas über Menschen zu lernen beginne, dann dass sie (a) grundsätzlich jedem misstrauen und Angst vor dem haben, der »anders« ist, und (b), dass sie die Angst dazu bringt, dämliche Dinge zu tun und zu sagen.
Gonzo macht ein finsteres Gesicht. »Will sie mich verarschen?«
»Nimm’s leicht, kleiner Kerl«, sage ich. »Wir sind hier und du kannst alles sehen.«
Gonzo kann nichts dagegen sagen. Also stehen wir an der Paradestrecke und nehmen alles in uns auf. Jecken mit verrückten Hüten und neonfarbenen Perücken tanzen und singen, als die Festwagen vorbeifahren. Sie verlangen nach Girlanden und die Besatzungen oben auf den Wagen erfüllen ihren Wunsch. Ich hänge mir ein paar um und gebe Gonzo welche ab. Der schüttelt den Kopf, als ob ich ihm die Beulenpest an den Hals hexen wollte.
»Mann, du weißt nicht, wo das Zeug herkommt.«
Eubie hatte recht – Mardi Gras ist einfach unglaublich. Ein Typ, der als Skelett verkleidet ist und sein Gesicht wie einen Totenschädel bemalt hat, tanzt die Straße hinunter. Akrobaten in glitzernden Harlekinkostümen purzeln und springen herum und schwenken Luftschlangen. Auf einem Wagen, der wie eine Flutwelle aussieht, winkt eine Dragqueen. Eine Trauerkapelle marschiert direkt an uns vorbei. Erst die Musiker mit Trompeten und Trommeln. Hinter ihnen werfen die Leute die Arme in die Höhe und tanzen, als wäre das nur eine weitere Party. Weiter hinten ertönt lauter Jubel und dann erscheint der aufwendigste Wagen, den wir je gesehen haben, mit riesigen Toren in der Mitte, eines weiß, das andere grau, mit dem angedeuteten Umriss einerTrompete drauf. Ein großer Kerl mit gefiederter Vogelmaske steht am Rand und breitet die Arme weit aus.
»Ich bin Morpheus, der König der Träume«, sagt er und die Lautsprecher tragen seine tiefe Stimme durch die Straßen. »Wir
alle
wandern in einem Land der Träume.
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