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Ohne Ende Leben - Roman

Ohne Ende Leben - Roman

Titel: Ohne Ende Leben - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Libba Bray
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die Truppen zu spielen. Alberne Songs meistens. Tanzlieder. Verstehst du?«
    Ich nicke.
    »Hab da Dinge gesehen, solche Dinge! Dinge, von denen du hoffst, dass du sie nie zu sehen kriegst.« Er schüttelt den Kopf. »Danach war ich ein Jahr im Veteranenkrankenhaus. Die Nerven, verstehst du? Nicht ganz richtig im Kopf. Drei Jahre lang hab ich keinen Ton gespielt. Konnte einfach nicht. Ein Teil von mir lag draußen im Feld bei meinen toten Kameraden. Dann, eines Tages, hab ich meine Trompete genommen, und als ich zu spielen begann, da hat es total anders geklungen. Blut zwischen den Tönen. Herz. Seele. Jedes Fitzelchen meiner Seele kam da aus dem Instrument. Nichts hab ich zurückgehalten. Und das war’s.«
    »Das war’s?«
    »Hab gelernt, anders zu leben.«
    Ich verstehe wirklich nicht, worauf er hinauswill, aber er scheint ein freundlicher alter Mann zu sein, und es tut mir leid, dass er das alles durchmachen musste.
    »Wir gehen da rüber«, sagt Junior. Als wir uns der Ecke nähern, sehe ich ein weiteres Tor mit zwei Türflügeln. Es sieht genauso aus wie das, durch das wir gekommen sind, und wie das auf dem Wagen des Morpheus – außer, dass dieses nirgendwo hinführt. Ein Kunstwerk, nichts weiter. Genau in der Mitte der Wand befindet sich ein großer roter Knopf. »Du musst einen der Türflügel öffnen, um an den Knopf zu kommen.«
    Irgendetwas in seinen Worten lässt das wie eine Prüfung klingen. »Egal welchen?«
    »Deine Wahl, mein Sohn, nicht meine.«
    Das hilft nicht gerade, meine Unsicherheit zu verringern. Nach einem schnellen, lautlosen
Ene mene muh
öffne ich die weiße Seite.
    »Hmmm«, sagt Junior. »Also gut, mach weiter. Drück den Knopf.«
    Sobald ich das tue, ertönt ein surrendes Geräusch, das mich zusammenzucken lässt. Die Decke öffnet sich. Über uns erscheint ein einzigartiger Nachthimmel mit funkelnden Sternen. Er erinnert mich an den Himmel in einem Planetarium, das ich einmal besuchte, von dem man weiß, dass er nicht echt sein kann. Es muss eine Projektion auf einen 36 0-Grad -Bildschirm gewesen sein, aber ich war mir damals absolut sicher, dass ich von meinem Sitz aus geradewegs ins All hätte abheben können. So echt war das.
    »Ist das nicht ’n Ausblick? Trotz all der Dinge, die wir lernen und wissen, sind wir noch immer nicht hinter die großen Geheimnisse gekommen: Wo kommen wir her? Wo gehen wir als Nächstes hin und warum sind wir hier? Und wenn dann was wirklich Wundersames passiert, rennen wir los, verstecken uns in unseren Höhlen und leugnen es.«
    Junior Webster führt die Trompete an die Lippen und bläst ein paar Takte des
Cypress Grove Blues
. Er unterbricht und hebt den Kopf in Richtung falscher Himmel, als ob er lauschen würde.
    »Die Wissenschaftler sagen, dass die meisten Galaxien ein schwarzes Loch in ihrem Zentrum haben. Sie saugen die Materie auf, diese schwarzen Löcher, und schlingen ratzfatz alles hinunter, was ihnen in den Weg kommt, egal was. Das ist das, was wir
wissen
. Was wir
wahrnehmen
können. Aber die Wissenschaftler können nicht beobachten, was
in
einem schwarzen Loch passiert – jedenfallsnicht direkt, verstehst du   –, weil die Anziehungskraft so groß ist, dass ihr nichts entkommen kann. Du nicht. Ich nicht. Nicht diese Trompete hier. Nicht mal das Licht. Nur eins kommt aus einem schwarzen Loch heraus, und das, mein Freund, sind
Töne
. Musik. Wenn die Dinge darin verschwinden« – er senkt die Stimme zu einem Flüstern   –, »dann
singt
dieses schwarze Loch. Verstehst du mich? Es singt in einer Tonlage, die kein menschliches Ohr jemals hören kann, aber es singt.«
    Als er die Trompete dieses Mal an die Lippen setzt, wird die Musik lebendig. Die Töne erschüttern mich gewaltig und die Melodie macht mich ganz schwindelig. Ich könnte schwören, dass sich die Himmelsprojektion langsam bewegt und wir auf sie zudriften. Und genau im Zentrum befindet sich ein winziger dunkler Punkt, der mit jedem Ton größer wird.
    »Mr Webster«, sage ich, aber er hat sich völlig in seinem Spiel verloren. Ich fühle mich wie ein kleines Kind im Planetarium, möchte meine Augen schließen und im Sessel zurücksinken, bis alles vorbei ist. Doch Junior richtet seinen Blick auf den Punkt. Eine tiefe Dunkelheit nähert sich uns von allen Seiten. Es gibt kein Entkommen. Mir ist, als ob ich mich Richtung schwarzes Loch bewege, als ob ich geradewegs hineingezogen werde. Ich kriege Wahnsinnsschiss. Juniors Gesichtsausdruck hat sich seltsam verändert; schwer

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