Ohne Ende Leben - Roman
Blödsinn ist.
»Gonz, das sind keine Serienkiller. Und dieser Milchshake wird dich nicht umbringen, okay?«
»Ich bin
allergisch
«, sagt er mit Nachdruck.
»Danke«, sage ich und nehme meinen. Ich trinke vielleicht die Hälfte. »Huh! Seltsam.«
»Was ist?«, fragt Ruth.
»Schmeckt nur nach Vanille.«
»Oh, es ist immer Vanille«, sagt Ruth. »Zuerst haben wir die Leute wählen lassen. Aber dann fanden wir heraus, dass sie Heidelbeere nicht so sehr mochten, wie sie dachten, oder sie wünschten, sie hätten lieber Erdbeere genommen wie ihre besten Freunde. Das gab großen Ärger. Also haben wir die Sache vereinfacht. Jetzt können sie bestellen, was immer sie wollen, aber schließlich bekommen sie ein und dasselbe. So garantieren wir zu jeder Zeit die gleiche Erfahrung. Für alle. Damit schränken wir Dinge ein wie Unzufriedenheit, Neid, Konkurrenz, Gier und Kummer – all das böse Zeugs.«
»Oh. Mhm.« Ich nehme noch einen Schluck. Die Vanille schmeckt gut, tatsächlich. Dick und sahnig. Vermutlich vermisse ich Erdbeere und Banane gar nicht so sehr. Ich biete Gonzo, der mich zornig anstarrt, einen Schluck an.
»Wenn du mehr willst – kein Problem«, sagt Daniel. »Es ist genug für alle da. Teil der Philosophie – kein Mangel, kein Warten. Niemand muss sich unzufrieden fühlen. Jeder fühlt sich hier zufrieden, rund um die Uhr.«
Ruths Gesicht verfinstert sich. »Außer einigen Leuten.«
Daniel seufzt, aber schon lächelt er wieder. »Ein paar Leute haben Schwierigkeiten mit unserem Glauben. Es fällt ihnen schwer, sich vom Negativen zu befreien« – er macht eine wegwerfende Handbewegung und Ruth folgt seinem Beispiel – »und das Positive zu umarmen.« Sie kreuzen die Arme über der Brust, als ob sie sich selbst umarmen. »Und so haben sie uns wieder verlassen.«
»So töricht!«, sagt Ruth.
»Mit Mühsal beladen«, korrigiert Daniel. »Vergiss nicht, Ruth, es sind unsere mit Mühsal beladenen Freunde.«
Ruth nickt. »Mit Mühsal beladen.«
»Hier gibt es keine negativen Gedanken.«
»Keinen einzigen«, sagt Ruth und strahlt. »Wir sind rund um die Uhr glücklich, sieben Tage in der Woche. Füg deinem Glück kein Leid zu.«
»Füg deinem Glück kein Leid zu«, wiederholt Daniel. »Hier steht’s auf unseren Schlüsselanhängern. Nimm einen.«
Er gibt mir einen glänzenden gelben Schlüsselanhänger, auf dem in weißer Schreibschrift steht: FÜG DEINEM GLÜCK KEIN LEID ZU.
»Danke«, sage ich und fühle mich besser.
Ein Alarmsignal ertönt. Wandlämpchen leuchten rot auf. Gonzo geht zu Boden und bedeckt den Kopf mit seinen Händen. »Ich hab’s dir gesagt, Cameron, hab ich’s dir nicht gesagt?«
Plötzlich wird der Raum von Typen in Kampfmontur bevölkert. »Bewegung, Bewegung, Bewegung!«, brüllen sie.Sie laufen an uns vorüber und umzingeln ein gelbes Sofa, auf dem ein junger Typ im Schlafanzug sitzt.
»Teamleiter! Wir haben einen Notfall!«, ruft einer aus dem Kommando.
»Entschuldige mich, Cameron«, sagt Daniel. Er geht rüber zu dem Jungen auf der Couch. »Thomas, mein Freund, wo liegt das Problem?«
»Äh, ich weiß nicht. Ich fühl mich einfach …« Er sucht nach dem richtigen Wort. »Traurig.«
Daniel drückt Thomas’ Schulter. Der Junge zuckt zusammen. »Hier fühlen wir uns nicht traurig, Thomas. Warum willst du deinem Glück Leid zufügen?«
»Tu ich überhaupt nicht! Ich weiß nicht, was los ist. Ich kann nichts dagegen tun. Ich musste daran denken, wie mein Hund Snuffy von einem Auto überfahren worden ist, als ich sechs war, und dass ich ihn immer noch vermisse, und dann … kam das traurige Gefühl über mich.«
»Milchshake«, sagt Daniel zu einem der Kommandosoldaten, der daraufhin die rechte Seite seiner Jacke öffnet und ein verwirrendes Aufgebot an Bechern präsentiert.
»Welche Geschmacksrichtung?«, fragt Daniel.
»Äh … Mango?«, antwortet Thomas. Der Uniformierte reicht ihm den Becher und Daniel legt den Strohhalm an Thomas’ Lippen.
»Hier, trink das.«
Thomas trinkt ein paar Schlückchen, als ob er nicht wirklich durstig ist und es nur aus Höflichkeit tut. »Schmeckt nach Vanille.«
Daniel sammelt sich. »Erzähl uns einfach, was du möchtest, mein Freund. Sag es uns.«
Thomas verbirgt sein Gesicht in den Händen. »Ich weiß es nicht. Das ist ja das Problem.«
»Hier. Wir werden dir helfen.« Der Soldat öffnet die linke Seite seiner Jacke. Unmengen von Katalogen stecken wie in einem Zeitungsständer darin. Daniel zählt auf.
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