Ohne Ende Leben - Roman
nützen?« Das Bibliotheksmädchen dreht die leuchtend lilane Kugel, die auf dem Gitter darauf wartet, ins Spiel gebracht zu werden. Sie eiert um ihre eigene Achse wie die Erdkugel. »Also, nehmen wir mal an, du nimmst deinen Ärger und lenkst ihn um, indem du ein Bild malst. Ziemlich bald wird dich der Idiot, der dich angepisst hat, nicht länger interessieren, weil du total in deiner Malerei aufgehst. Und dann hängt das Bild vielleicht eines Tages in einer Galerie und inspiriert andere Menschen, ihren Weg zu finden, egal was für einen. Du hast die Welt beeinflusst, nicht weil du sie umarmst und knuddelst, sondern weil du einmal die Scheiße aus jemandem herausprügeln wolltest und es nicht getan hast. Stattdessen hast du ein Bild gemalt. Und du hättest dieses Bild nicht ohne dieses Gefühl malen können, ohne dieses Gegen-irgendwas-Dampf-Ablassen. Wir Menschen können uns ohne den Schmerz nicht entwickeln.«
»Wie meinst du das?«
»Schlimmes Zeugs passiert einfach.« Sie öffnet ein Schnappmesser, schneidet eins der Kommandoseile durch, das nach einem traurigen Zwischenfall hängen geblieben ist, und wickelt es sich der Länge nach ums Handgelenk. »Menschen scheitern. Werden abgelehnt. Rasseln durch Prüfungen. Sie verlieren das große Spiel oder verirren sich auf hundert kleinen Holzwegen oder sie kriegen einen Korb oder müssen noch mal von vorn anfangen. Sie sind verwirrt und ängstlich. Oder manchmal, da haben sie das Gefühl,nirgendwo dazuzugehören. Sie sind irgendwie Teil einer universellen Ureinsamkeit. Das ist nun mal so, und du musst lernen, damit umzugehen. Und, weißt du, ein großer Vanillemilchshake ist da wirklich nicht die Antwort drauf.«
»Aber was ist, wenn wir gar nicht so fühlen müssen?«
»Aber wir fühlen so! Das macht uns doch gerade menschlich.«
»Also glaubst du nicht daran, dass Menschen glücklich gemacht werden können?«
»Das hab ich nicht gesagt«, antwortet sie und verarbeitet das Seil zu einer Art doppeltem Armband mit verschiebbarem Knoten. »Ich glaube nur nicht, dass Glück ein dauerhafter Zustand ist. Du kannst es nicht immer haben. So viel Glück macht die Menschen
un
glücklich. Und dann suchen sie Ärger. Sie beginnen nach der nächsten Sache Ausschau zu halten, die sie glücklich machen könnte – und sitzen in der Glücksfalle.«
Ich fühle mich wie ein Ballon, der langsam zu Boden sinkt, leicht ernüchtert, aber eigentlich froh darüber, dass die Reise zu Ende ist. Seltsam, aber ich bin irgendwie erleichtert, dass ich nicht die ganze Zeit glücklich sein muss.
»Aber, wenn du nichts davon glaubst, warum bist du noch hier?«
»Um zu tun, was getan werden muss.« Das Bibliotheksmädchen streicht mir über die Wange. »Cameron, du bist ein wirklich netter Junge. Und deshalb tut’s mir leid.«
»Tut dir was leid?«
Blitzschnell legt sie mir das Armband aus Seil um die Handgelenke und zieht den Knoten so fest, dass ich meine Hände nicht mehr bewegen kann.
»Hey!« Ich zerre dran, aber dadurch wird die Schlinge nur noch enger.
»Wehr dich nicht, Cameron, das macht es nur schlimmer.«
»Was verdammt –«
Die Alarmanlage schrillt ohrenbetäubend, lauter, als ich sie jemals gehört habe.
»Was ist das?«, sage ich und wünschte, ich könnte mir die Ohren zustopfen.
»Das,
mein Freund
, ist der wundervolle Klang der Revolution.« Das Bibliotheksmädchen zieht am Seil, und ich kann nichts anderes tun, als ihr zu folgen.
In der Kirche der Immerwährenden Glückseligkeit und Snack ’n’ Bowl ist die Hölle los. Menschen in KIGSNA B-Kleidung unterschiedlicher Dienstgrade rennen die Gänge entlang und brüllen, wir würden angegriffen. Von den Wänden krabbeln Kommandoeinheiten. Sieht aus wie eine irre Comicszene. Fünf Teenies mit einem Einkaufswagen laufen an uns vorüber. Zuerst denke ich, sie sind von der KIGSNAB, weil sie die großen Shirts mit dem gelben Smileygesicht tragen, aber dann sehe ich, dass die Gesichter nicht lächeln. Eins wirkt traurig, eins wütend, eins bekifft und eins zeigt einen Stinkefinger unterm Kinn. Der Einkaufswagen ist voller Bücher und Zeitungen, die sie jedem zuschleudern, den sie sehen.
Ein Typ, der eine offene Zeitung schwenkt, brüllt: »Die Welt ist im Arsch! Kauft keine Jeans mehr und zieht eure Köpfe aus dem Sand!«
»Glück ist ein faschistischer Zustand!«, kreischt einer von den Werfern. »Was ist, wenn ihr nicht chillen wollt, hä? Was ist, wenn ich meinen Hund Snuffy vermisse?«
Ein Typ in einem KIGSNA
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