Ohne Ende Leben - Roman
Tassen lauwarmen Kaffees hinweg an. Sie sehen scheiße aus, wie zwei Zahnpastatuben, die in der Mitte zu oft zusammengedrückt wurden. Raina tritt durch die Tür. Sie sieht gar nicht scheiße aus, sondern frisch und lebendig und verheißungsvoll. Dad erblickt sie und steht auf – ein kleines Lächeln auf den Lippen. Mom beobachtet ihn, als ob er ein Fremder ist, den sie das erste Mal sieht. Raina händigt Dad einige Unterlagen aus und sagt »Entschuldigung« und »Falls ich noch etwas für Sie tun kann«, und Dad antwortet: »Sie tun schon so viel für mich, Raina.« Als sie errötet und ihre Haarsträhnen hinters Ohr stecktund als Dad dieser einen kleinen Geste Aufmerksamkeit schenkt, ändert sich Moms Gesichtsausdruck. Sie weiß Bescheid.
Mein Wagen braust weiter durchs Universum. Zu meiner Rechten hält der Roadrunner Schritt mit mir. Er verschwindet in einer Höhle, und als er wieder herauskommt, ist er der Große Abrechner. Die Feuerriesen brennen derweil ein gigantisches schwarzes Loch in den Himmel hinter ihm. Er streckt die Hand nach mir aus, aber der Wagen stürzt nach unten und mir wird ganz flau im Magen. Dann kriecht mein Gefährt einen unsichtbaren Hügel hoch, auf einen hell erleuchteten Raum zu, wo Glory gerade den leeren Beutel vom Infusionsständer nimmt. »Ich muss den nur mal austauschen, Süßer.« Sie hängt den neuen prallen Beutel an den Ständer. Die Fahrt verlangsamt sich, bis ich mit Glory auf einer Höhe bin. Ihr Gesicht sieht aus wie eines dieser geschnitzten Totems, die ich einmal in einem Buch über die Osterinseln gesehen habe – finster, wunderschön, zeitlos.
Sie streicht über meine Wange und – ich schwöre – ich kann die Wärme ihrer Haut spüren. Ihre großen braunen Augen schauen direkt in meine. »Cameron, Kind, bist du wach dort drinnen?«
»Ich sagte, bist du wach?«
Ich öffne die Augen. Sie tun mir weh. Mir gegenüber sitzt Daniel in einem Sessel, Arme verschränkt. Er sieht so aus, als ob seiner Glückseligkeit mehr als nur Leid zugefügt wurde. Sie ist angepisst und völlig aus dem Takt. Ich bin an meinen Stuhl gefesselt. Das Bibliotheksmädchen ist nirgendwo zu sehen. Wenigstens ist die Waffe weg. Das helle Licht der Snacketeria sticht wie Nadeln in meinen Kopf.
»He! Cameron.«
»Ja«, krächze ich. »Wo ist das Mädchen aus der Bibliothek?«
»Wer?«, fragt Ruth.
»Vergiss es«, sage ich. »Wo ist Gonzo?«
Daniel grinst höhnisch. »Der Zwergenfreak? Vielleicht kannst du uns das erzählen. Bisher haben wir ihn nicht gefunden.«
Ich würde ihm liebend gern die Scheiße aus dem Hirn prügeln, dafür, dass er Gonzo einen Zwergenfreak genannt hat, aber ich bin an den Stuhl gebunden. Daniel kommt direkt vor mein Gesicht. »Also, erzähl uns: Wie lange haben du und deine Spione diesen kleinen Überfall geplant?«
»Ich? Ich könnt nicht mal ’n Abendessen planen. Ich hab damit überhaupt nichts zu tun –«
Ruth haut mir die Anthologie auf die Fingerknöchel.
»Au!«, kreische ich.
»Das ist dafür, dass ihr dieses deprimierende, unverständliche Zeugs über die Lautsprecher vorgelesen habt.«
»Warte, das war nicht ich. Ich –«
Sie haut mir ein zweites Mal auf die Finger.
»Und das ist dafür, dass ihr den Milchshakemixer kaputt gemacht habt! Es heißt, es könnte vierundzwanzig Stunden dauern, ihn zu reparieren. Vierundzwanzig Stunden! Das ist wie lebenslänglich!«
Daniel geht auf und ab. Er sieht zum Fürchten aus. Ich sollte ihm wohl möglichst alles geben, was seine Glückseligkeit vergrößert, damit er sein Kommando nicht auf mich hetzt. »Wir haben das Filmmaterial der Überwachungskamera angeschaut – sie hat dich geküsst! Und du hast ihr den Rucksack gegeben. Wir wissen, dass ihr unter einer Decke steckt. Alle Bestellstationen wurden gehackt. Wenn man jetzt versucht, ein KIGSNA B-Produkt zu bestellen, kriegtman ein Buch mit dem Titel:
Meine Glückseligkeit wünscht deine Glückseligkeit zur Hölle
. Da stehen Bemerkungen drin wie ›Lies ruhig ein verdammtes Buch. Es wird dich nicht fressen‹. Oder: ›Menschen bauen dauernd Mist. Lerne, damit umzugehen.‹ Oder: ›Nicht jedem gelingt es, berühmt zu werden.‹ Oder: › Wenn du so besonders bist, warum bin ich dann so angenervt?‹«
»Lies dieses wirklich schlimme Wort vor, Daniel!«, sagt Ruth.
Daniel knipst einen Bildschirm an und liest das Wort, das darauf erscheint. »Nein.«
»Ich möchte einen Milchshake«, sagt Ruth leise.
Daniels Gesicht ist so nah an meinem,
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