Ohne Ende Leben - Roman
»Warum bestellst du nicht was, mein Freund? Ein neues Jackett oder ’n paar Musik-Downloads. Du magst doch Musik.«
Gonzo schnaubt. »Ja,
richtige
Musik. Nicht diese bescheuerte Wir-bowlen-fürs-Universum-KIGSNA B-Scheiße , die mein Trommelfell schon die ganze Woche vergewaltigt.«
Ich atme tief durch; in meinem Kopf liste ich fünf Dinge auf, die ich an mir mag. »Weißt du was, Gonzo? Ich möcht dir dabei helfen zu finden, was ich gefunden hab. Hier, nimm einen Schlüsselanhänger«, sage ich und übergebe ihm eins der sonnengelben Werbegeschenke, die sie verteilen,wann immer du etwas auch nur annähernd Gutes tust, wie etwa die Klobrille wieder runterzuklappen. Manchmal geben sie dir einen Schlüsselanhänger auch allein dafür, dass du da bist.
Gonzo wirft den Schlüsselanhänger in einen Mülleimer. »Hey,
cabrón
, sollten wir jetzt nicht auf dem Weg zu Dr. X sein?«
»Solltest du jetzt nicht einen Fleck auf deiner Lunge haben?«, blaffe ich zurück und dann besinne ich mich. »Schau, Gonzo, tut mir leid. Ich möchte deinem Glück kein Leid zufügen.«
»Du fügst meinem Glück kein Leid zu, Alter. Du treibst mich nur total in den Wahnsinn.« Er wedelt mit den Händen direkt vor meinem Gesicht. »Schau dir doch diesen Ort an, Mann. Die pflegen hier eine Art Glückskult. Das ist nicht real. Du willst hier nicht bleiben.«
»Will ich wohl. Ich fühl mich großartig. Keine Symptome. Keine Albträume. Keine Feuerriesen weit und breit. Ich glaub, das könnte die Heilung sein, Gonzo. Es gibt keinen Anlass, das Universum zu retten, weil mir hier in der KIGSNAB nichts Schlimmes passieren kann.«
»Böses kann überall passieren. So ist das Leben, Amigo.«
»Okay, mein Freund, ich hab jetzt ein neues Leben und würde es dir hoch anrechnen, wenn du damit aufhörst, es in den Schmutz zu ziehen.«
Ich will nicht, dass ich mich über all das ärgern muss, also lasse ich Gonzo an der Soforterfüllungsabteilung stehen und steuere auf die Bibliothek zu. Hinter dem Schalter sitzt das Mädchen mit dem rasierten Schädel, die Bowlingfreundin von Thomas. Durchs SNAB auf ihrem KIGSNA B-Shirt zieht sich ein matter Strich. Direkt darüber ist das Wort FUCK gekritzelt.
»Kann ich dir helfen?«
»Hallo, meine Freundin«, sage ich mit breitem Lächeln. Sie lächelt nicht zurück, was seltsam ist, weil hier alle lächeln.
»Ähm, könnte ich ein Buch ausleihen?«
Sie zeigt auf die Regale, die vom Boden bis zur Decke reichen. »Bedien dich und sei glücklich.«
»Okay, danke. Hoffentlich ist der Tag so besonders, wie du es bist«, sage ich und zitiere den Satz, den ich auf einem T-Shirt gelesen habe.
Sie schnaubt. »Danke, gleichfalls.«
In der Bibliothek gibt es mehr Bücher, als ich je gesehen habe. Hoffentlich haben sie
Don Quijote
, damit ich meine Lektüre für Spanglisch beenden kann – nicht dass ich zurückgehen will, aber ich würde schon gern wissen, wie alles endet. Die zwei unteren Regalreihen scheinen nur mit Exemplaren von
Füge deinem Glück kein Leid zu
gefüllt. Also widme ich mich den nächsten beiden Reihen und dann noch einer weiteren: Hier stehen nur noch mehr Ausgaben vom selben Titel, diesmal als Taschenbuch. In der ganzen Bibliothek gibt es nichts anderes als Exemplare von ein und demselben Buch.
»Entschuldige«, sage ich und springe von der Rollleiter, »aber wo sind die anderen Bücher?«
»Wir haben keine anderen Bücher«, sagt das Bibliotheksmädchen. Sie unterstreicht in ihrem Buch aufs Geratewohl Worte und bildet daraus neue, leicht unanständige Sätze. Ich frage mich, ob sie das tun sollte, sage aber nichts.
»Aber … das ist eine Bibliothek. Oder?«
Sie spricht langsam, als ob sie mit einem kleinen Kind redet. »Wir haben herausgefunden, dass viele Geschichten oder Wörter oder sogar Ideen, die in den meisten Büchernenthalten sind, negativ oder verletzend sein können. Oder sie können deine Glücksgefühle infrage stellen oder sogar das Verständnis von Glück als Ideal. Und das war nicht in unserem Sinne.« Jetzt schenkt sie mir ein breites Lächeln, das mich an Dulcie erinnert.
»Aber geht’s denn in Büchern nicht gerade darum? Dass du über Dinge nachdenkst? Komm schon. Du musst doch ein Exemplar von
Don Quijote
dort hinten haben. Das ist ein Klassiker.«
Sie reißt eine Schublade auf und zieht einen Stapel Papiere hervor, sichtet die Blätter, bis sie findet, was sie gesucht hat. »Ah, ’tschuldigung.
Don Quijote
. Komplizierte Ideen und verwirrende Sprache.
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