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Ohne Ende Leben - Roman

Ohne Ende Leben - Roman

Titel: Ohne Ende Leben - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Libba Bray
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sein Gesicht zurück. Die Klimaanlage springt an. Die künstliche Brise treibt den orangefarbenen Luftballon hin und her.
    »Bist du okay?«, frage ich.
    Er zuckt mit den Schultern. Er kann wirklich nicht zugeben, dass er wieder okay ist. Es könnte ihn umbringen.
    »Das war nicht nett, was du über meine Mom gesagt hast«, sagt er ruhig.
    »Okay, tut mir leid«, sage ich, weil ich keinerlei Kampfgeist mehr habe. »Lass uns jetzt einfach pennen.«
    Ich lösche das Licht und lege mich hin. Der Raum ist dunkel wie ein Grab. Nur Hotelzimmer haben diese Dunkelheit, als ob sie wüssten, dass es ihre Aufgabe ist, einen von der Welt abzuriegeln. Als sich meine Augen an die Finsternis gewöhnt haben, sehe ich Gonzo immer noch auf der Bettkante sitzen, bewegungslos.
    Ich seufze. »Gonz, du hast dort drüben doch nicht gerade irgendwie Herzrasen oder so was?«
    »Nein, ich denk nur nach.« In der Dunkelheit klingt seine Stimme sonderbar. Dumpf und gleichgültig, als ob er so voller Luft ist wie der orangefarbene Ballon. »Kennst du das auch, dass dich zufällig irgendwelche alten Erinnerungen überkommen?«
    »Schätze schon.«
    »Ich denk grade an dieses eine Mal, als ich ein Kind war. Ich war ungefähr, ich weiß nicht, fünf? Sechs vielleicht? Es war nicht sehr lange nachdem mein Alter sich abgesetzt hatte. Die Kinder in der Nachbarschaft hatten diese neueabgefahrene Schaukel: mit kleinem Häuschen, Rutsche, Klettergerüst. Voll cool. Für ein Kind jedenfalls.«
    Er zögert, und ich bin gespannt, wohin uns dieser kleine Ausflug auf der Memory Lane führt. Das Kissen unter meinem Kopf heizt sich auf. Ich drehe es um und lege meinen Kopf auf den kühlen Baumwollstoff.
    »Wie auch immer, sie sagten mir, wenn ich ihrem Club beitreten wolle, müsse ich das Klettergerüst überqueren, ohne runterzufallen. Alter, diese Gitter sahen so aus, als ob sie über tausend Meter hoch wären. Aber es war das erste Mal, dass sie mich eingeladen hatten, also wollt ich’s nicht vermasseln. Einer der Jungs hat mich ermutigt und ich kletterte los. Ich geriet total ins Schwitzen. Aber ich hab die zweite Sprosse erreicht und dann die dritte. Als ich zur vierten kam, fingen sie an, mich anzufeuern. Das war ein geiles Gefühl, wie   … ich weiß nicht, wie ich’s beschreiben soll. Ich war dabei, es zu schaffen, weißt du. Noch zwei Sprossen und ich hätt’s geschafft.«
    Ich kann hören, wie er mit seinem Inhalator spielt.
    »Ich war grad dabei, die nächste Sprosse zu erklimmen, als ich Mom meinen Namen hab rufen hören. Sie stand in unserem Hof und ihr Gesicht war schreckensbleich. Ich könnt schwören, sie war auf dem Sprung, mich zu retten – sie hat mir nicht
vertraut
, weißt du, was ich meine? Als ich auf die Sprosse über mir guckte, schien sie plötzlich eine Million Meilen entfernt. Ich fühlte mich gar nicht mehr sicher. Ich hab nach ihr gegriffen, aber irgendwie nur halbherzig, weißt du. Und ich hab sie verfehlt. Ich fiel runter, hab mir den Arm und eine Rippe gebrochen und fing an zu weinen. Die Kinder dachten, ich bin ein Weichei, und ihre Mütter wollten nicht mehr, dass ich rüberkomme und mich in ihrem Garten verletze. Ein paar Tage war ich im Krankenhaus,und meine Mom kaufte mir einen Haufen Spielzeug-Rennautos, weil sie wusste, dass ich die mag, und später hab ich sie dann in unsrem Hinterhof vergraben und behauptet, ich hätte sie verloren. Da war sie sehr gekränkt und hat gesagt, ich würde Sachen allzu selbstverständlich hinnehmen, wie mein Dad.«
    Er macht ein merkwürdiges Geräusch. Zuerst denke ich, er hat Schluckauf. Aber dann wird mir klar, dass er weint. »Das war das erste Mal   … das erste Mal, dass ich gespürt hab   … dass   … das Einzige, was mich am Leben erhält   … meine Mom ist. Und dafür hab ich sie gehasst.«
    Draußen holt sich jemand Eis. Die Maschine rumpelt gegen die Wand und macht dabei ein Geräusch wie ein Sterbender, der hustet.
    »Also   …«, beginne ich, »also, sag mal, was hattest du eigentlich gegen die Rennautos?«
    Das Schniefen lässt nach. Gonzo bewegt sich auf seinem Bett. »Hä?«
    »Ich weiß, du hast deine Mom gehasst. Scheiße. Das kann ich dir nicht verübeln. Aber was hatten dir diese kleinen Spielzeugautos getan, dass sie so ein Schicksal verdienten? Lebendig begraben. Das ist gnadenlos, Alter.«
    Gonzo wird total still. Kein einziger Schniefer mehr. Möglicherweise habe ich ihn so sehr beleidigt, dass er einen zweiten Asthmaanfall riskieren könnte, bloß um

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