Ohne Fleiß kein Reis: Wie ich ein guter Deutscher wurde (German Edition)
Wohnraum weg, sondern auch die Arbeitsplätze. Seit längerem schon beobachte ich, dass die obdachlosen Zeitungsverkäufer mit stark schwäbischem Dialekt sprechen. Während der Fußball-WM in Südafrika fand ich an einigen Berliner Kneipen, die Public-Viewing anboten, auch Schilder mit Anmerkungen, die jedem Migranten geläufig sind: »Was wollt ihr hier – Stuttgart 605 KM!« oder: »Schwaben ist der Zutritt nicht erlaubt!« Manche beschimpfen die Schwaben schon abwertend als Südländer. Eine Jugendherberge, die mit dem Slogan »Ein Hotel für alle« wirbt, weist im selben Atemzug darauf hin: »Außer Schwaben, Engländern und Iren ab einer Anzahl über 5 Personen oder in Superman-Kostümen«.
Dass mein Nachbar Franz, der eine Kneipe an der Kopernikusstraße betreibt, ein Schwabe ist, habe ich nur zufällig mitbekommen. Ihm ist wahrscheinlich die wachsende Antipathie gegenüber seinen Landsleuten nicht entgangen. Mir stellte sich Franz in betontem Hochdeutsch als Ost-Berliner vor, der schon immer in Friedrichshain zuhause sei.
Ich mag die Schwaben, vor allem ihre Maultaschen und Spätzle. Aus Verbundenheit gegenüber meinen schwäbischen Brüdern und Schwestern überlege ich, eine Antidiskriminierungskampagne zu starten mit dem Slogan: »Deine Bohrmaschine: ein Schwabe; dein Herzkatheter: ein Schwabe; dein IBM-Computer: ein Schwabe; dein Bundestrainer: ein Schwabe; dein EU-Kommissar für Energie: ein Schwabe; und dein Nachmieter: auch nur ein Schwabe.«
Die Schwaben sind für mich so etwas wie die Schotten Deutschlands. Völlig ungerechtfertigt haften Klischees wie geizig und pedantisch an ihnen, obwohl mir eine Bekannte aus Ravensburg einmal den folgenden Witz erzählte: »Wenn Sie weidrhin in Ihrer Zeidung Schwabawitzla druckad, dann isch es die lengschde Zeit gwäa, dass ich mir Ihr Zeidung ausleih!«
Berlin ist arm. Mit rund 60 Milliarden Euro steht die Hauptstadt in der Kreide, und dennoch haben die Berliner ihren international anerkannten Humor nicht verloren. Doch mit dem S-Bahn-Chaos hat man die Berliner, die eigentlich hart im Nehmen sind, durch verspätete und funktionsuntaugliche Bahnen so verärgert, dass Schluss mit ihrem lustigen Berliner Humor war. Deshalb beschloss man 2008 im Senat, eine Freundlichkeitskampagne zu starten, die das ramponierte Selbstwertgefühl der Berliner wiederherstellen und Berlin als Hauptstadt der Freundlichkeit erstrahlen lassen sollte. Die Berliner sollten, untypisch für sie, um die Wette lächeln. Mehrere Hunderttausende von Euro ließ sich der Senat die Kampagne kosten. Ein simpler Slogan sollte es richten: »Be Berlin«, der beliebig erweitert werden konnte: »Sei Herz, Sei Schnauze, Sei Berlin« oder: »Sei Unikat, Sei Delikat, Sei Berlin.« Vor dem Eingang des Bezirksamtes Friedrichshain-Kreuzberg an der Yorckstraße wehen seither rote Flaggen mit dem aufbauenden Spruch: »Sei Traum, Sei Ziel, Sei Berlin«. Berliner wurden aufgefordert, mit dem Einreichen von fetzigen Sprüchen an der Kampagne mitzuwirken, bei der man sogar Sei-Berlin-Botschafter werden konnte.
Doch trotz der großen Investition, gestartet, um den Berlinern ihre Eigenarten zu nehmen, wissen anscheinend nur die wenigsten Berliner über die Kampagne Bescheid. Als eine Frau an der S-Bahn-Haltestelle Warschauer Straße aus der Bahn steigen wollte, hörte ich, wie sie einen schwarzen Mann beschimpfte, der mit seinem Fahrrad an der Tür stand und sie beim Ausstieg leicht behinderte: »Scheißneger! Jeh mal zur Seite!«
Tage später wurde ich Zeuge, wie ein Punker in der Tram einen indischen Touristen, der so stand, dass die Tür nicht zuging, ankeifte mit den Worten: »Hey du! Rück doch noch ein Stück rein, wah . Wir sind hier nicht in Bombay!«
An der U-Bahn-Haltestelle Rathaus Neukölln wurden ein Nigerianer und ich Augenzeuge, wie ein Tourist eine einheimisch aussehende Frau nach dem Weg fragte und von ihr genervt die Antwort bekam: »Verpiss dich!« Der Nigerianer und ich schauten uns nur an und dachten in dem Moment dasselbe: Keiner fragt uns nach dem Weg. Aber Berlin wäre nicht Berlin, wenn es nicht so wäre, wie es ist, dachte ich – und sagte mir im Stillen: »Willkommen in Berlin – der freundlichsten Stadt der Welt!«
Freundlichkeitskampagnen sind immer mit Vorsicht zu genießen. Mein Heimatland Nordrhein-Westfalen wollte der Berliner Kampagne wohl in nichts nachstehen. Eines Tages rief mich die Büroleiterin des Integrationsbeauftragten an. Was kann so wichtig sein, dass sie mich in
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