Ohne Fleiß kein Reis: Wie ich ein guter Deutscher wurde (German Edition)
Berlin anruft?, fragte ich mich. Sie wolle mir ein sehr wichtiges Paket zukommen lassen, sagte sie, und verriet mir nichts weiter. Bereitwillig gab ich ihr meine Adresse, und schon einige Tage später kam das Paket bei mir an. Ich öffnete es sofort, rollte die eingewickelten Poster aus, drei Jugendliche mit Migrationshintergrund lächelten mich an, und dann entdeckte ich den Schriftzug: »Ümit ist schwul, Aleksej ist schwul, Kai auch.« Ich legte die Poster zur Seite, öffnete den beigelegten Brief und las, dass Nordrhein-Westfalen von allen sechzehn Bundesländern das vielfältigste sei, den ersten Integrationsminister stelle und nun auch eine Vorreiterrolle einnehmen wolle, was die Akzeptanz und Integration von schwulen und lesbischen Jugendlichen mit Migrationshintergrund angehe. So etwas Progressives kann nur die Handschrift Nordrhein-Westfalens tragen, dachte ich und konnte mir den Slogan gut vorstellen: »Willkommen in Nordrhein-Westfalen – dem freundlichsten Bundesland für schwule und lesbische Jugendliche mit Migrationshintergrund.«
FILMSTAR
V or einiger Zeit erhielt ich eine interessante E-Mail von einer Filmproduktionsfirma. Die E-Mail, vermutete ich, stammte von Chang-hoon, der sich wieder einen Scherz auf meine Kosten erlaubte. Wenn Chang-hoon nämlich zum Spaßen aufgelegt war, dann rief er gerne einmal bei seinen Freunden an, etwa mit starkem spanischem Akzent, wobei er sich als Journalist des Playboy ausgab. Dieses Mal wollte ich Chang-hoon nicht auf den Leim gehen. Also rief ich Chang-hoon an und sagte ihm das. Daraufhin erwiderte Chang-hoon gereizt, ob ich mich allein fühle und keine anderen Gesprächspartner habe, oder warum ich ihn am helllichten Tage belästige. Dafür gebe es professionelle Hilfe, fügte Chang-hoon hinzu. Er habe viel zu tun, stehe täglich im Labor und arbeite hart an seiner Promotion, sagte Chang-hoon mit eisiger Stimme.
Da wir uns seit der Kindheit kennen, können wir uns nichts vormachen. Mit dieser exzellenten schauspielerischen Darbietung wollte Chang-hoon mich auffordern, von weiteren Anrufen abzusehen. Es sei denn in dringlichen Angelegenheiten, und das hieß in Klartext: Frauen. Bei solch einer Dringlichkeit hatten wir Chang-hoons Genehmigung, ihn auch um drei Uhr in der Früh zu wecken. Mäuse kann man nur mit Speck locken und Chang-hoon eben mit hübschen Frauen.
Skeptisch rief ich die Telefonnummer der Filmproduktionsfirma an, die in der E-Mail angegeben war. Nachdem ich die Dame höflich begrüßt hatte, fragte ich sofort, ob ich es hier mit einem seriösen Unternehmen zu tun habe oder einem, das eher zur Sparte zensierter Erwachsenenfilme gehöre. Die Dame musste herzhaft lachen, beruhigte mich und erklärte, dass sie mich lediglich für einen Imagefilm der Ruhr2010-Kampagne featuren wollten. Soviel sie wisse, seien keine Akt- oder Nacktszenen mit entsprechenden Handlungen eingeplant, scherzte die Dame. In dem Film wolle man lediglich die bunte Vielfalt des Ruhrgebietes widerspiegeln. Meine Rolle bestehe darin, einen seriösen Geschäftsmann in Führungsposition zu spielen. Das hörte sich gut an. Keine Klischeerolle. Also sagte ich zu.
Am Drehtag schien die Sonne am Set des RWE-Towers in Essen. Die Komparsen und die Filmcrew waren guter Stimmung, und neben einer überaus attraktiven Sekretärin wurden mir zwei weitere Mitarbeiter zur Seite gestellt. Schließlich sollte ich den Chef spielen, und das war nicht meine Idee gewesen. Der eine Mitarbeiter erzählte mir, dass er schon viele Komparsenrollen gespielt habe und derzeit nur berüchtigt sei, aber auf das »berühmt« arbeite er hin.
Dann kam der Regisseur auf mich zu. Er sagte, dass es sich bei der Produktion um einen Stummfilm handle. Das trübte meine gute Stimmung. Nun war ich der Chance so nahe gekommen, als männlicher Asiate eine Hauptfigur in einer Nicht-Klischeerolle zu spielen und so meine perfekten Deutschkenntnisse einem breiteren Publikum stolz unter Beweis zu stellen, da ließ der Regisseur diesen Traum wie eine Seifenblase zerplatzen. Ich bat den Regisseur, als Entschädigung zumindest eine leidenschaftliche Kussszene mit der Sekretärin einzubauen, damit ich dem Publikum zeigen könne, wie gut koreanische Männer küssen, ganz im Sinne meiner Imagekampagne für koreanische Männer. Der Regisseur winkte ab und faselte etwas von »keinen Raum für Improvisationen« und von »Manuskript«, und dass er sich daran halten müsse. Ich sei schließlich nicht in Hollywood und auch nicht der
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