Ohne Fleiß kein Reis: Wie ich ein guter Deutscher wurde (German Edition)
du und ich, die sich schon mal um halb elf Uhr morgens ein Bier gönnen. Ihre Erst-reden-dann-denken-Mentalität ist mir doch irgendwie sympathisch. Nicht selten ist das, was sie sagen, auf den Punkt gebracht und brutal ehrlich. Sind wir tief im Herzen nicht alle ein wenig Berlin-Berliner?! Und wie sagte schon Helga Hahnemann? »Dit sitzt zu tief, Dit sitzt hier drin.«
AUF DER SUCHE NACH DEN LETZTEN BERLINERN
A uf der Suche nach den letzten verbliebenen Berlinern wird man immer häufiger in den von Vietnamesen geführten chinesischen Bistros fündig. Mit dem Fall der Mauer wurden nicht nur neue Geburtsstunden eingeläutet, sondern auch die Ära des Aussterbens der Berliner Eckkneipen. Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis Eisbein mit Kartoffeln oder Erbspüree von sämtlichen Menükarten der Republik verschwunden sind. Ganz zum Leidwesen vieler vietnamesischer Inhaber dienen nun ihre asiatischen Imbisse als Ersatzkneipen und Zufluchtsorte für die leidgeprüften und trinkfesten original Berliner.
Bei mir in der Nähe gibt es so ein Asia-Bistro. Nicht gerade ein Ort, an den man eine Frau ausführt. Es sei denn, man möchte der Frau seine klare Abneigung signalisieren. Das Bistro ist das Zuhause einer Berliner Rentnergang, die aus sechs Männern und zwei Frauen besteht. Ein ausgedienter Spielautomat dient als Herberge kitschiger Plastikblumen. Ein immer eingeschalteter koreanischer Plasmafernseher belebt den tristen in Orange gestrichenen Raum. Einzelne Löcher sind notdürftig mit Putz übertüncht worden. Zum Inventar gehören noch eine Garderobe, in der schon seit Ewigkeiten eine abgetragene graue Jacke der Marke Rentner hängt, eine Bar, die als Abstellkammer dient und vor der Übernahme durch den Vietnamesen viele Berliner glücklich machte, drei Bilder mit drei typisch chinesischen Propaganda-Kunstmotiven, fünf birkenfarbene Ecktische mit abgesessenen, sperrmüllreifen Stühlen, wo sich der Dreck tief in den Bezug eingefressen hat, drei Lampions, im Raum verteilt, um chinesisches Flair vorzugaukeln, ein funktionierender Actionstar-Spielautomat und ein grüner Kronleuchter an der mit Stuck versehenen Decke, der seinen Modernitätszenit längst überschritten hat.
Apathisch, als hätte es ihnen die Sprache verschlagen, sitzen sich die Rentner an den Tischen gegenüber. Heiterkeit kommt auf, wenn einer für Nachschub mit Berliner Kindl und billigem Weinbrand der Marke Chantré und Herzog sorgt. Dann fällt auch mal der Spruch: »Den Sozialismus in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf!« oder »Vorwärts immer, rückwärts nimmer!«, womit sie recht haben, denn das Getrunkene kehrt nicht mehr zurück.
Der eine Brillenträger löst Rätsel, der andere liest mit seinen dicken Lupengläsern Zeitung, die er so nahe an sich heranzieht, dass sie förmlich an seiner roten Nase klebt. Ein anderer vergeudet sein Geld am Spielautomaten. Der nächste schaut sich jegliche Sportsendungen eines Pay-TVs an und lässt es sich nicht nehmen, die Stille mit seinen Kommentaren zu brechen. Während eines Formel-1-Rennens etwa sagte er: »Vettel, schnapp dir den Neger!«, womit er den farbigen Briten Hamilton Lewis meinte.
Einmal bekam ich mit, wie ein Schwarzer den Raum betrat, um sich das Fußball Champions-League-Spiel Real Madrid gegen Barcelona anzuschauen. Die Anwesenheit des Schwarzen verursachte plötzliche Heiterkeit, als würden sie alkoholischen Nachschub bekommen. Der Lupenglas-Brillenträger mit schütterer Fukuhila-Frisur ging schnurstracks auf den Schwarzen zu und fragte ihn: »Hast du meine Bananen mitgebracht?« Dabei kam ihm der alte Berliner so gefährlich nah, als hätte er seine Zeitung vor der Nase.
»Nein«, antwortete der Schwarze.
»Du wääst ja, dit ist nich so jemeint, wah!«, entgegnete ihm der Brillenträger mit einem verschmitzten Lächeln. »Du bist janz schön sonnengebräunt, wah. Welcher Rasse jehörst du an?«, fragte er gleich hinterher.
»Brasilien!«, sagte der Schwarze und fügte im selben Atemzug hinzu: »Bevor Sie weiterfragen: Nein, ich bin kein Fußballspieler, bin weder mit Pele noch mit Ronaldinho verwandt und trinke auch keine Caipirinha zum Frühstück!« Der Brasilianer nahm das Frage- und Antwortspiel mit Humor. Alles ging glimpflich aus.
Die chinesischen Imbisse dienen den letzten verblieben Berlinern als Exil oder Zuhause in der Fremde. Bei den Berlinern hat sich herumgesprochen, dass sich das Motto der Vietnamesen »Der frühe Vogel fängt den Wurm« in den
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