Ohne Gewaehr
mich nicht einmal
verwundert, wenn er mich morgen gebeten hätte, aus unserer Wohnung auszuziehen
und ihn künftig in Ruhe zu lassen. Obwohl ich seinen Körper in- und auswendig
kannte, blieb er mir doch fremd, weil er seine Gedanken ständig vor mir
abschirmte, immer so gefasst wirkte und jeden Schritt im Voraus kalkulierte.
Nur selten ließ er einen Blick hinter seine ernste Fassade zu, und was ich
dahinter vorfand, war gleichwegs verwirrend und beängstigend. Er schien tiefen
Schmerz zu empfinden, innerlich ein zerbrochener Mann zu sein.
»Juliet, woran denkst du geraden? Du siehst plötzlich
so ernst aus.« Daniel stand direkt hinter mir und küsste sanft meine Haare.
Während ich mein Tiramisu löffelte, klopfte es ein
weiteres Mal an der Tür und nach einer kurzen Verzögerung trat eine stämmige,
kleine Frau mit hübschen Gesicht ein. Sie sah uns verschüchtert entgegen. »Mr.
Stone, Sie haben mich hierher gebeten?«
Ihre hellbraunen Gesichtszüge wirkten angespannt
während sie an der Türschwelle wartete.
Wieder war es Smith, der die Initiative übernahm und
die Frau hereinwinkte. »Sie sind Rose, nehme ich an?«
Sie nickte und nahm auf einem Stuhl Platz, den Smith
ihr zugewiesen hatte.
»Wie gut wussten Sie über Pathees Geschäfte Bescheid«,
fragte Smith sie sofort und ohne Umschweife.
Erschrocken blickte sie auf. »Gar nichts! Ich kannte
ihn kaum, er hat schließlich nur nachts gearbeitet.« Mit weit aufgerissenen
Augen starrte sie uns entgegen. Smith drehte sich zu mir um und warf mir einen
fragenden Blick zu.
»Rose, es geht hier nicht darum, was für Geschäfte Sie
und Pathee im Hotel gemacht haben. Was immer es war, ich bin sicher, Sie haben es
inzwischen beendet«, sagte Daniel mit ruhiger Stimme. »Im Moment interessieren
wir uns nur dafür, was Sie über den Mann wissen, der Wallenstein ermordet hat.
Was hat Pathee Ihnen von ihm erzählt?«
Die Frau war verängstigt und verwirrt. »Ich weiß
nichts. Wenn ich den Mörder kennen würde, wäre ich doch längst zur Polizei
gegangen.«
Ich stand auf und ging wortlos zu Daniels Schreibtisch.
An seinem Computer druckte ich ein Foto aus und brachte es zu Rose. »Kennen Sie
diesen Mann? Haben Sie den jemals mit Pathee zusammen gesehen?«
Rose warf einen kurzen Blick darauf, dann sah sie mich
an. »Sie wissen das alles schon?«
»Es war nur so eine Idee«, murmelte ich enttäuscht und
reichte Konstantins Foto an Daniel weiter. »Der Mann auf dem Bild ist nicht der
Mörder. Er kann es nicht gewesen sein, weil er zur Tatzeit nicht hier war. Aber
anscheinend hat er dem Mörder dabei geholfen, alles vorzubereiten. Er hat bei
Pathee das Zimmer gemietet, nicht wahr?«
Das Zimmermädchen nickte bestätigend. »Ja, ich habe ihn
mit Pathee gesehen, zwei Tage vor dem Mord. Aber am nächsten Abend hatte ich
frei, darum weiß ich nicht, wer das Zimmer benutzt hat. Selbst Pathee hatte
davon keine Ahnung.«
Rose konnte uns also auch nicht dabei helfen, den
wahren Mörder zu enttarnen. Aber mir wurde immer deutlicher bewusst, dass es
sich bei ihm um einen erfahrenen Kriminellen handeln musste.
»Es scheint, als kämen wir nur über Kramer an den
Mörder«, stellte Smith resignierend fest, nachdem das Zimmermädchen gegangen
war. »Und der sitzt leider in Untersuchungshaft, wir kommen also nicht an ihn
heran.«
Ich überhörte den unausgesprochenen Vorwurf
geflissentlich.
»Es ist schon spät, aber bevor wir Schluss machen, müssen
wir noch einen letzten Sachverhalt aufklären. Den Schwierigsten vielleicht, an
der ganzen Geschichte«, sagte Daniel.
Ich stöhnte fast unhörbar, aber er warf mir trotzdem
einen strafenden Blick zu.
»Falls es wirklich diesen großen Unbekannten gibt, der
Konstantin Kramer auf mich oder uns angesetzt hat, wer ist das und wieso ist er
hinter uns her?«
»Du hast doch gesagt, du hättest dir viele Feinde
gemacht«, erinnerte ich ihn. »Vielleicht bist du mit deinen Geschäften jemandem
auf die Füße getreten und der rächt sich jetzt dafür?«
»Ich glaube, dass wir irgendetwas übersehen«, meldete
sich Haynes auf einmal zu Wort. »Konstantin Kramer mag einen Grund gehabt
haben, seinen Onkel aus dem Weg zu räumen, aber es gibt auch eine Verbindung
zwischen Wallenstein und dem Freund von Miss Walles. Sie kennen sich und teilen
ein Geheimnis. Denken Sie an die Mikrochips.«
»Sie sind beide tot «, ergänzte ich und schloss die
Augen. Das Blut pochte in meinen Schläfen und mein Kopf schmerzte vom vielen
Nachdenken.
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