Ohne Gnade
alles, was man sich vorstellen kann. Ich gucke dann auch vorbei, wenn ich hier wegfahre. Bella hat sich große Mühe mit den Vorbereitungen gemacht. Sie möchte nicht, daß ihr Ben alles verdirbt.«
»Verstehe«, sagte Grant. »Was sollen wir tun? Er hat seine Strafe abgesessen. Solange er sich nichts Neues zuschulden kommen läßt, kann er tun, was ihm paßt.«
»Sie könnten mit ihm sprechen«, meinte sie. »Verlangen Sie, daß er fortbleibt. Das ist doch nicht zuviel verlangt, oder?«
Grant drehte sich mit seinem Sessel, stand auf und trat ans Fenster. Er schaute einige Zeit auf die Lichter der Stadt hinunter.
»Sehen Sie sich das an«, sagte er schließlich. »Siebzig
Quadratmeilen Straßen, eine halbe Million Menschen und achthunderteinundzwanzig Beamte einschließlich des Innendienstes. Zu einer halbwegs vernünftigen Arbeit müßten wir sofort mindestens zweihundertfünfzig Leute mehr haben.«
»Und warum bekommen Sie die nicht?«
»Sie würden sich wundern, wenn Sie wüßten, wie wenige Männer es reizt, den Rest ihres Lebens in einem Drei-Schichten System zu verbringen, bei dem sie nur alle sieben Wochen einmal ein freies Wochenende mit ihren Familien verbringen können. Die Gehälter sind auch nicht gerade berückend, vor allem, wenn man sich überlegt, was man dafür zu leisten hat. Wenn Sie mir nicht glauben, gehen Sie mal Samstagabend um elf Uhr auf die Straßen, wenn sich die Kneipen leeren. Da hat ein guter Beamter in der Stunde soviel Arbeit wie andere Leute in der ganze Woche.«
»Was heißen soll, daß Sie mir nicht helfen können.«
»Ich habe zweiundfünfzig Kriminalbeamte. Zur Zeit sind siebzehn davon grippekrank, und die anderen arbeiten in der Woche achtzig Stunden. Vielleicht ist Ihnen aufgefallen, wie ruhig es bei uns ist. Das liegt daran, daß Brady und ich im Augenblick als einzige im Innendienst tätig sind. Selbst im besten Fall haben wir zwischen zehn und sechs Uhr nur ein paar Leute hier. Heute ist es nur besonders kraß.«
»Aber es muß doch irgend jemand zur Verfügung stehen.«
Er lachte rauh und kehrte an seinen Schreibtisch zurück.
»Meistens ist das auch der Fall.«
Sie erhob sich.
»Dann geht das also in Ordnung? Sie kümmern sich darum?«
»Wir erkundigen uns«, erwiderte er. »Wenn er in der Stadt ist, wird er nicht schwer zu finden sein. Viel kann ich Ihnen nicht versprechen, aber wir werden tun, was wir können.«
Sie kramte in ihrer Handtasche und zog eine Karte heraus.
»Ich bin für ein oder zwei Stunden in Bellas Haus, St. Martin's Wood. Anschließend fahre ich nach Hause. Ich habe mich in Miß Van Heflins Wohnung in der Schule häuslich eingerichtet. Hier steht die Rufnummer.«
Sie ging zur Tür. Als Brady sie für sie öffnete, sagt Grant: »Das eine verstehe ich nicht. Warum Sie? Warum nicht Bella?«
Jean Fleming drehte sich langsam um.
»Sie erinnern sich nicht mehr genau an sie, wie? Sie hat sich nie zu etwas aufraffen können. Wenn man es ihr überließe, würde sie so tun, als gäbe es Ben Garvald nicht, und das Beste hoffen. Aber diesmal genügt das nicht, weil ich praktisch mehr zu verlieren habe als sie. Ein Skandal könnte mich ruinieren, Mr. Grant, er könnte alles zerstören, was ich mir aufgebaut habe. Wir haben von der Khyber Street aus einen weiten Weg zurückgelegt, das sagten Sie selbst. Zu weit, um uns jetzt noch zurückholen zu lassen.«
Als sie durch den Büroraum hastete, stellte sie fest, daß sie zitterte. Statt auf den Lift zu warten, hastete sie die drei Treppen hinunter und eilte durch die Drehtür hinaus ins Freie.
Sie lehnte sich an eine der hohen Säulen des Rathauses. Der Wind jagte ihr den eiskalten Regen ins Gesicht. Die Angst in ihr ließ sich nicht länger eindämmen.
Fahr doch zum Teufel, Ben! dachte sie und stürmte die Stufen hinunter.
»Die weiß, was sie will«, sagte Brady.
Grant nickte.
»Kann man wohl sagen. Ist auch nicht anders möglich, wenn man die Khyber Street überstehen will.«
»Glauben Sie, daß etwas an der Sache ist?«
»Möglich. Ben Garvald war seinerzeit wirklich mit Abstand der gefährlichste Bursche weit und breit. Neun Jahre hinter Gittern haben ihn sicher nicht zu einem friedlichen Bürger gemacht.«
»Persönlich kannte ich ihn nicht«, sagte Brady. »Damals bin ich in einer anderen Gegend Streife gegangen. Hat er viele Freunde gehabt?«
»Eigentlich nicht. Er war immer ein Einzelgänger. Die meisten Leute hatten Angst vor
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