Ohne Gnade
Ihrem Juristentitel aus dem Nichts auf, schreiben Ihre Prüfung und sind sofort Sergeant. Du lieber Himmel, in dem Aufzug sehen Sie eher wie ein drittklassiger Zuhälter aus.«
Er sah sich in dem luxuriös eingerichteten Raum mit den dicken Teppichen und den teuren Möbeln um und dachte an sein kleines Reihenhaus. Drüben, auf der anderen Seite des Flusses, wo es früher nichts als Slums gegeben hatte.
Der sinnlose Zorn in ihm verschaffte sich freie Bahn.
»Man braucht sich das hier doch nur anzusehen. Wie im Wartezimmer der öffentlichen Häuser am Gascoigne Square.«
»Da kennen Sie sich wohl aus?« sagte Nick.
Sein Gesicht war bleich geworden und hatte sich völlig verändert. Die Haut war fast durchsichtig und blutleer, die Augen starrten durch Brady hindurch.
Das hätte ihn warnen sollen, aber Brady hatte längst den Punkt überschritten, wo die Vernunft noch mitzusprechen hatte. Er streckte den Arm aus, packte die schwarze Schlafanzugjacke, riß sie auseinander, und im nächsten Augenblick schoß der Schmerz wie glühende Lava durch seine Adern. Er taumelte. Ein Schrei erstickte in seiner Kehle. Sein rechter Arm war wie gelähmt.
Der Druck ließ nach. Er sank auf ein Knie, und die Schmerzen hörten beinahe schlagartig auf. Er erhob sich betäubt und rieb den rechten Arm. Nick lächelte.
»Heutzutage braucht man zu allem Verstand, auch bei einer Rauferei. Sie haben einen Fehler gemacht. Sie sind nicht der erste und werden nicht der letzte sein, aber reden Sie nicht mehr so mit mir. Beim nächstenmal werfe ich Sie die Treppe hinunter. Und jetzt raus! Das ist ein Befehl – Konstabler Brady!«
Brady drehte sich wortlos um und taumelte zur Tür. Sie fiel hinter ihm ins Schloß. Nick lauschte den verklingenden Schritten auf der Eisentreppe nach, seufzte und ging ins Badezimmer.
Er zog die zerrissene Jacke aus und starrte einige Sekunden in den Spiegel. Schließlich lachte er halblaut, öffnete die Glastür zum Duschraum und drehte das Wasser auf.
Als er fünf Minuten später herauskam und nach einem Handtuch griff, lehnte sein Bruder an der Tür und hielt die zerfetzte Jacke in der Hand.
»Was war los?«
»Eine kleine Meinungsverschiedenheit, mehr nicht. Brady gehört zu den Leuten, die schon sehr lange dabei sind. Es fällt ihm schwer, sich daran zu gewöhnen, daß Leute wie ich ein paar Sprossen überspringen.«
Phil Miller warf die Jacke in eine Ecke und schüttelte den Kopf.
»Warum machst du weiter, Nick? Ich könnte dich im Geschäft gut gebrauchen. Wir entwickeln uns ständig weiter, das weißt du. Warum gibst du dich damit ab?«
Nick ging an ihm vorbei ins Schlafzimmer, öffnete die Schiebetür des eingebauten Kleiderschranks und nahm einen dunkelblauen Anzug und ein frisches, weißes Hemd heraus. Er legte die Sachen auf das Bett und begann sich anzukleiden.
»Mein Beruf macht mir Spaß, Phil. Alle Bradys der Welt können mich nicht davon abbringen. Ich bin dabei und bleibe dabei. Je früher sie das akzeptieren, desto besser für uns alle.«
Phil setzte sich achselzuckend auf den Bettrand und schaute ihm zu.
»Ich möchte wissen, was Mutter sagen würde, wenn sie noch am Leben wäre. Ihre ganzen Pläne, ihre ganzen Hoffnungen – und du wirst Polizist.«
Nick grinste ihn durch den Spiegel an, während er seine Strickkrawatte knotete.
»Sie würde darüber lachen, Phil. Wahrscheinlich tut sie es jetzt gerade.«
»Ich dachte, du hast bis Montag Urlaub?«
Nick hob die Schultern.
»Wahrscheinlich tut sich etwas. Charlie Parker von der Abteilung ›E‹ hat heute nachmittag mit mir gesprochen. Wir bekommen einfach nicht genug Leute. Über zweihundert Planstellen sind unbesetzt. Außerdem werden ziemlich viele krank sein, wegen der Grippewelle.«
»Also braucht man Nick Miller. Aber warum gerade jetzt? Was für ein Mensch fängt um diese Zeit mit der Arbeit an?«
Nick nahm einen dunkelblauen Regenmantel aus dem Schrank.
»So geht es bei uns dauernd zu, Phil. Das müßtest du doch inzwischen wissen. Von zehn Uhr abends bis sechs Uhr früh. Friedhofsschicht.« Er grinste, als er den Gürtel zuzog. »Was würdest du tun, wenn jemand in einem deiner Geschäfte einbrechen würde, gerade jetzt?«
Sein Bruder hob abwehrend die Hand und stand auf.
»Schon gut. Der große Nick Miller tritt in die Nacht hinaus, um die Gesellschaft zu beschützen. Paß bloß auf dich auf, mehr verlange ich nicht. Heutzutage kann alles
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