Ohne Gnade
ihm.«
»Ein Berserker?«
Grant schüttelte den Kopf.
»Das war nicht Garvalds Stil. Kontrollierte Gewalt – aber nur, wenn nötig, das war sein Motto. In Korea kämpfte er bei einer Kommandotruppe. Wegen einer Beinverwundung kam er zurück. Er hinkt immer noch ein bißchen.«
»Soll ich die Unterlagen über ihn holen?«
»Zuerst brauchen wir jemand, der sich mit ihm befaßt.«
Grant zog eine Akte zu sich heran, schlug sie auf und fuhr mit dem Finger an einer Liste entlang. »Graham bearbeitet noch die Vergewaltigung in Moorend. Varley ist vor einer Stunde zur Maske Lane gefahren. Einbruch in eine Fabrik. Gregory, krank. Lawrence, krank. Forbes, als Zeuge in Manchester.«
»Und Garner?«
»Hilft bei der Abteilung ›C‹ aus. Die haben nicht einen brauchbaren Kriminalbeamten zur Zeit.«
»Und jeder muß mindestens seine dreißig Fälle aufarbeiten«, meinte Brady.
Grant stand auf, ging zum Fenster und starrte in den Regen hinaus.
»Ich möchte wissen, was die Herren Zivilisten sagen würden, wenn sie wüßten, daß von uns noch genau fünf Mann auf den Beinen sind.«
Brady hustete.
»Da wäre immer noch Miller, Sir.«
»Miller?« sagte Grant erstaunt.
»Sergeant Miller, Sir«, ergänzte Brady, mit besonderer Betonung des Titels. »Ich habe gehört, daß er vorige Woche den Lehrgang in Bramshill abgeschlossen hat.«
Sein Tonfall war neutral, aber Grant wußte, was er meinte. Nach den neuen Bestimmungen mußte jeder Beamte, der den einjährigen Sonderlehrgang an der Polizeiakademie in Bramshill erfolgreich abschloß, nach seiner Rückkehr zu seiner Dienststelle zum Kriminalsergeant befördert werden, was bei dienstälteren Beamten, die sich langsam hochgearbeitet hatten oder immer noch auf ihre Beförderung warteten, große Bitterkeit hervorrief.
»Den hatte ich vergessen. Er hat Jura studiert, nicht wahr? Und sogar ein Examen gemacht?« fragte Grant, nicht, weil er es nicht gewußt hätte, sondern, um Bradys Reaktion zu prüfen.
»Richtig«, sagte Brady rauh und mit der Verachtung des langgedienten Polizeibeamten für ›Intellektuelle‹.
»Ich habe ihn nur einmal zu Gesicht bekommen, als ich in dem Prüfungsausschuß saß, dem seine Bewerbung für den Lehrgang vorgelegt wurde. Scheint ein tüchtiger Mann zu sein. Drei Jahre im gewöhnlichen Polizeidienst, also wird er sich auskennen. Soviel ich weiß, war er bei dem Bankraub in der Leadenhall Street als erster zur Stelle. Danach versetzte ihn der Alte zur Kriminalpolizei. Er machte ein Jahr Dienst bei Charlie Parker in der Abteilung ›E‹. Charlie meint, er habe so ungefähr alles, was ein guter Kriminalbeamter heutzutage braucht.«
»Einschließlich eines Bruders, der reich genug ist, ihm die tollsten Autos zu kaufen«, erklärte Brady. »Einmal kam er mit einem Jaguar ›E‹ zum Dienst. Wußten Sie das?«
Grant nickte.
»Ich habe auch gehört, daß er Billy McGuire mit in die Sporthalle nahm und ihn gründlich verdrosch, nachdem Billy ihm die Luft aus allen Reifen gelassen hatte. Dabei weiß ich, daß Billy bis dahin mit jedem fertig geworden ist.«
»Neumodische Tricks, Angeberei«, sagte Brady verächtlich. »Kann er Verbrecher fangen? Darauf kommt es an.«
»Charlie Parker scheint es zu glauben. Er wollte ihn wiederhaben.«
Brady zog die Brauen zusammen.
»Wohin kommt er denn?«
»Zu uns«, sagte Grant. »Der Alte hat mir heute Bescheid gesagt.«
Brady atmete tief ein und schluckte seinen Ärger hinunter.
»Manche Leute haben eben immer Glück. Ich habe neunzehn Jahre gebraucht und bin immer noch Konstabler.«
»So ist das Leben, Jack«, sagte Grant ruhig. »Miller hat aber noch bis Montag Urlaub.«
»Kann ich ihn trotzdem herholen?«
»Warum nicht? Wenn er für uns arbeiten soll, kann er ruhig gleich anfangen. Seine Rufnummer steht in der Personalakte. Sagen Sie ihm, er soll sich sofort zum Dienstantritt melden. Ausreden gibt's nicht.«
Brady lächelte verkniffen und trug seinen kleinen Triumph davon. Als sich die Tür hinter ihm schloß, zündete sich Grant eine Zigarette an und trat wieder ans Fenster.
Tüchtiger Mann, Jack Brady. Solide, verläßlich, befolgte jeden Befehl buchstabengetreu. Deshalb war er immer noch Konstabler bei der Kriminalpolizei und würde es bis zur Pensionierung bleiben.
Aber bei Miller war das etwas anderes. Miller und seinesgleichen – das waren genau die Leute, die sie brauchten, verzweifelt nötig hatten, wenn
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