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Ohne jede Spur

Ohne jede Spur

Titel: Ohne jede Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
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größere Liebesbeweis gewesen. Ihr zu gönnen, dass sie unbefangen erwachsen werden kann. Aus einer einsamen, verletzlichen Schülerin den eigenen Vorteil herauszuschlagen hat nichts mit Liebe zu tun.»
    «Von mir aus können Sie wieder nach draußen gehenund sich zusammenschlagen lassen», entgegne ich. «Vielleicht kommt ja ein anderer vorbei und rettet Sie.» Aber er scheint noch nicht fertig zu sein.
    «Sie haben das Mädchen verführt. Wie? Mit Drogen, Alkohol, Schmeicheleien? Sie haben es vorsätzlich getan. Sie waren der Ältere, hatten Erfahrung und Geduld auf Ihrer Seite. Sie haben auf eine passende Gelegenheit gewartet, darauf etwa, dass sie aus irgendeinem Grund traurig war und Sie ihr als Helfer in der Not beistehen konnten. Sie haben angeboten, ihr den Rücken zu massieren. Vielleicht haben Sie ihr einen Drink eingeschüttet. ‹Hier, nimm mal ein Schlückchen›, haben Sie ihr gesagt. ‹Danach sieht alles schon viel besser aus.› Ich kann mir vorstellen, dass ihr mulmig wurde. Wahrscheinlich hat sie Sie gebeten, aufzuhören   –»
    «Schnauze!», warne ich ihn.
    Er redet weiter. «Ja, sie hat ganz bestimmt gesagt, dass Sie aufhören sollen, aber das war Ihnen egal. Sie haben Ihre Chance gewittert und weiter an ihr herumgefummelt. Was kann sie schon tun? Sie ist erst vierzehn und weiß gar nicht richtig, was sie will. Im Gegenteil, sie ist total durcheinander, befangen und verlegen   –»
    Ich gehe auf ihn zu und schlage ihm mit dem Handrücken ins Gesicht. Es klatscht überraschend laut. Sein Kopf fliegt zur Seite. Die Eiskompresse landet auf dem Polsterschoner. Er reibt sich das Kinn, wirkt dabei irgendwie nachdenklich und legt sich dann das Eis wieder auf die Stirn.
    Mir wird schummerig, als ich ihm in die Augen sehe. Er verzieht keine Miene. Ich auch nicht.
    «Sagen Sie mir, was Sie in der Nacht auf Donnerstag gesehen haben», sagt er leise.
    «Ein Auto, das aus Ihrer Einfahrt kam.»
    «Was für ein Auto?»
    «Eins mit vielen Antennen obendrauf. Vielleicht ein Servicewagen. Limousine, dunkel.»
    «Was haben Sie der Polizei gesagt?»
    «Dass Sie ein gemeingefährliches Arschloch sind», spucke ich aus. «Dass Sie mich anschwärzen wollen, um Ihre armselige Haut zu retten.»
    Er mustert meine Hände und Unterarme. «Was haben Sie draußen im Hof verbrannt?»
    «Das geht Sie nichts an.»
    «Sammeln Sie Pornos, Aidan Brewster?»
    «Auch das geht Sie nichts an.»
    Jones legt die Eiskompresse ab und steht auf. Ich weiche unwillkürlich zurück. Grund dafür sind diese dunklen, blutunterlaufenen Augen. Vielleicht ist es nur ein Déjà-vu-Erlebnis, aber irgendwie habe ich das Gefühl, diese Augen schon mal gesehen zu haben. Vielleicht im Knast. Vielleicht bei dem ersten Kerl, der mich zu einem Haufen Elend zusammengeschlagen hat. Mir dämmert zum ersten Mal, dass mein Nachbar nicht ganz koscher ist.
    Jones kommt näher.
    «Nein», höre ich mich schreien. «Ich habe Liebesbriefe verbrannt, Mann. Persönliche Aufzeichnungen. Wie gesagt, ich bin nicht pervers.»
    Er sieht sich in meiner Wohnung um. «Haben Sie einen Computer, Aidan?»
    «Nein, verdammt. So ’n Ding darf ich nicht mal haben. Bewährungsauflage.»
    «Halten Sie sich aus dem Internet heraus», sagt er. «Ich warne Sie. Ein Besuch in einem dieser Chatrooms, eine versuchte Kontaktaufnahme mit irgendeinem Backfisch, und ich mache Sie fertig. Sie werden Ihre eigene Zunge schlucken, um mich abzuschütteln.»
    «Wer zum Teufel sind Sie eigentlich?»
    Er beugt sich mir entgegen. «Ich bin der, der weiß, dass Sie Ihre eigene Stiefschwester vergewaltigt haben, Aidan, der weiß, warum Sie Ihrem Stiefvater Woche für Woche hundert Dollar überweisen, und der außerdem weiß, wie Ihre sogenannte Liebe der inzwischen magersüchtigen jungen Frau, Ihrem Opfer, zeit ihres verkorksten Lebens zusetzen wird.»
    «Aber das können Sie gar nicht wissen», erwidere ich blöderweise. «Das weiß niemand. Ich war am Lügendetektor angeschlossen und habe alle Tests bestanden.»
    Er schmunzelt, aber irgendetwas an seinem Blick und diesen leeren Augen jagt mir kalte Schauer über den Rücken. Er wendet sich ab und geht durch den Flur.
    «Sie liebt mich», rufe ich ihm kleinlaut nach.
    «Hätte sie sich dann nicht längst wieder bei Ihnen gemeldet?»
    Jones zieht die Haustür hinter sich zu. Ich stehe allein in meiner Wohnung, habe die verbrannten Hände zu Fäusten geballt und bin voller Hass auf diesen Kerl und seine Chuzpe. Mit einer Mordswut im Bauch setze ich

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