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Ohne jede Spur

Ohne jede Spur

Titel: Ohne jede Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
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Rückkehr zu warten, Tag für Tag. Sie wusste ja, wo ich wohne, und ich flehte den Himmel an, sie wiedersehen zu dürfen, und sei es nur für fünf Minuten, um mit ihr zu sprechen, ihr alles zu erklären oder sie einfach nur   … zu sehen.
    Aber das Warten war so vergeblich wie die Suche nach irgendwelchen Randnotizen auf den Briefen. Es kam nichts dabei rum.
    Und ich frage mich jetzt immer noch, so wie an jedem einzelnen verfluchten Tag im Knast: Hat sie mich jemals geliebt?
    Ich kippe mir einen kräftigen Schluck Maker’s Mark hinter die Binde, reiße, noch ehe mir das Zeug in der Kehle brennt, ein Streichholz an und lasse der Welt kostbarste Sammlung von Liebesbriefen in Flammen aufgehen. Damit es richtig abgeht, schütte ich noch ein gerütteltes Maß an Whiskey drüber.
    Und bereue sofort.
    Ich greife mit bloßen Händen ins Feuer, will retten, was zu retten ist, und verbrenne mir die Pfoten dabei. Das Papier wellt sich und zerfällt unter meinen Fingern. Schmauchende Asche wirbelt auf.
    «Nein!», heule ich wie von Sinnen. «Nein, nein, komm zurück, nein.»
    Auf wackligen Beinen und mit den angeflämmten Armen rudernd, jage ich den fliegenden brennenden Fetzen im Hof nach, und plötzlich, zum ersten Mal seit langem, höre ich wieder diese Geräusche.
    Knastgeräusche vergisst man nie.
    Ich höre sie. Sie kommen von der anderen Seite des Hofes.
     
    Meine Haare brennen, und wahrscheinlich ist es das, was meinem Nachbarn das Leben rettet: mein Schweinsgalopp durch den Hinterhof, meine wild um sich schlagenden Arme, während auf meinem Kopf gelbrote Flammen sprießen.
    Ich torkele um die Ecke und sehe mich plötzlich drei Typen gegenüber.
    «Aidan», sagt einer, reichlich verblüfft. Sein Name ist Carlos. Ich erkenne ihn sofort an seiner Stimme: Er arbeitet in der Werkstatt.
    Alle glotzen gleichzeitig auf den schwarzen Haufen auf dem Gehweg. «Oh, Scheiße», sagt der zweite.
    «Aber wenn der da Aidan ist   –» Der dritte Typ ist offenbar nicht der Hellste. Er steht mit einem Stiefel auf dem Rücken des Mannes, der am Boden liegt, und hält den rechten Arm zurück, mit dem er gerade zuschlagen wollte.
    Ich merke in diesem Moment, dass ich noch die Flasche Maker’s Mark in der Hand halte, und tue das einzig Vernünftige. Ich zerschlage sie an der Ecke von Mrs   H’svinylverkleidetem Haus, hebe die schartigen Glasreste am Flaschenhals über den Kopf und fange, von billigem Fusel und enttäuschter Liebe aufgedreht, wie ein Berserker zu schreien an.
    Drei schwarzgekleidete Gestalten stieben auseinander. Carlos ist am schnellsten weg. Nummer drei erweist sich ein weiteres Mal als langsam, und das nicht nur im Kopf. Ich erwische ihn mit meiner Verlegenheitswaffe am Oberarm. Er kreischt wie eine Katze, als ich ihm Blut abnehme.
    «Scheiße, Scheiße, Scheiße», schreit Nummer zwei. Ich ziele auf ihn, er springt zur Seite. Mein zweiter Versuch trifft auf seinen Oberschenkel. «Carlos!», brüllt er jetzt. «Carlos, Carlos, wo bist du?»
    Ich tobe. Ich bin betrunken, stinksauer und habe die Schnauze voll davon, immer nur Fußabtreter zu sein. Der Hornochse kriegt sein Fett weg, und auch der Schreihals kommt nicht zu kurz. Das Einzige, was den beiden die Haut rettet, ist der Umstand, dass ich selbst nüchtern eine absolute Niete im Nahkampf bin. Ich stehe voll unter Strom, kann aber nicht zielen.
    Die beiden Armleuchter entkommen schließlich meiner Tobsucht und verschwinden dahin, wo Carlos längst ist, nämlich in Sicherheit. Ich schlage weiter mit rotierenden Armen ins Leere und fluche, was das Zeug hält, bis mir auffällt, dass ich schrecklich stinke, und meine Schwarte schmerzt wie verrückt.
    Ich lasse den Flaschenhals fallen, springe mitten auf der Straße auf und ab und versuche, den Schwelbrand meiner Haare zu löschen.
    «Scheiße, Scheiße, Scheiße», schreie diesmal ich wie ein Idiot und patsche auf meinem Kopf herum, bis ich glaube, das Schlimmste überstanden zu haben. Ich bin völlig außer Atem, komme allmählich wieder zu mir und registriere nach und nach das volle Ausmaß meiner kriminellen Orgie. Ich bin betrunken. Ich habe einen Großteil meiner Haare in Rauch aufgehen lassen. Meine Arme sind voller Ruß und Brandblasen. Mir tut der ganze Körper höllisch weh.
    Der schwarze Haufen auf dem Gehweg kehrt langsam und stöhnend ins Leben zurück.
    Ich gehe auf ihn zu, drehe ihn auf den Rücken.
    Und begegne meinem Nachbarn Jason Jones.
     
    «Was zum Teufel haben Sie um diese Zeit hier draußen

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