Ohne jede Spur
Spur wieder verschwinden zu lassen.
«Ich kann also gar nicht wirklich nachprüfen, wo sich unsere Schüler herumtummeln. Jeder, der weiß, wie man den Verlauf löscht, kann alle möglichen Seiten besuchen, ohne dass man ihm auf die Schliche kommt.»
«Sie haben doch vorher Ihre Sicherheitssperren eingerichtet», versuchte mich Ethan zu beruhigen.
«Aber die lassen sich ja auch knacken. Das hast du mir gezeigt. Es scheint, wir können nicht wirklich überprüfen, was unsere Schüler online so treiben. Vielleicht ist unser Internetkurs keine gute Idee.»
Ethan dachte nach. Er ist ein cleveres Kerlchen. Ernst, aber auch sehr einsam. Ich glaube, seine Eltern, die ihn bestimmt sehr gernhaben, wissen nicht so richtig mit ihm umzugehen. Er ist so gescheit, dass selbst manche Erwachsene Angst vor ihm bekommen. Jungs wie er haben während ihrer ersten zwanzig Jahre nicht viel zu lachen, aber dann gründen sie ihr eigenes Software-Unternehmen, heiraten ein Supermodel und fahren Ferrari.
Aber so weit ist Ethan noch lange nicht, und er tut mir leid, weil er keinen Anschluss hat und als Sonderling ausgegrenzt wird.
«Wenn man etwas auf einem Computer löscht, ist es nie wirklich verschwunden», sagte er.
Ich schüttelte den Kopf. «Das verstehe ich nicht.»
Er schmunzelte. «Aber so ist es, denn Computer sind von Natur aus faul.»
«Ach was.»
«Ja. Seine wichtigste Aufgabe besteht darin, Daten zu speichern. Die Festplatte ist im Grunde nichts anderes als eine riesige Bibliothek voll leerer Regale. Als Nutzer stellen Sie nun Bücher in diese Regale, also Ihre Dokumente und Dateien, auf die Sie dann jederzeit zurückgreifen können.»
«So weit kann ich dir folgen.»
«Wie jede Bibliothek legt auch der Computer ein Verzeichnis an, damit das, was man später sucht, möglichst schnell gefunden werden kann. Verstanden?»
«Verstanden», antwortete ich.
Ethan strahlte. Wir hatten die Rollen getauscht; er war mein Lehrer und ich seine gelehrige Schülerin. Er setzte seinen Unterricht fort: «Und an dieser Stelle ist der Computer faul. Wenn der Nutzer ein Dokument löscht, geht der Computer nicht etwa den langen Weg durch die Regale ab, um das Buch herauszunehmen, sondern streicht einfach den entsprechenden Eintrag im Verzeichnis durch. Das Buch bleibt, wo es steht, lässt sich aber jetzt nicht mehr ohne weiteres wiederfinden.»
Ich musterte meinen rothaarigen Partner staunend und fragte: «Soll das heißen, dass die Kopien der Internet-Files immer noch irgendwo im Computer stecken, selbst wenn ich Cache und Verlauf gelöscht habe?»
Er schmunzelte wieder. «Sie haben’s begriffen.»
Auch ich strahlte jetzt übers ganze Gesicht, worauf Ethan errötete. Vorsicht, ermahnte ich mich. Ich wollte es mit dem Jungen nicht zu weit treiben.
«Wie finde ich denn das Buch, wenn es nicht mehr im Verzeichnis steht?», fragte ich sachlich.
«Wenn Sie an die Browser-Chronik herankommen wollen, empfehle ich Pasco.»
«Pasco?»
«Das ist eine Software, die man sich gratis runterladen kann. Und die funktioniert so: Wenn jemand den Cache löscht, gehen nicht alle Daten verloren. Ein paar Index. dat-Files bleiben zurück. Sie öffnen also die Chronik, starten Pasco, und die Software wird Ihnen eine CS V-Datei ausspucken –»
«CSV?»
«Das ist ein bestimmtes Dateiformat. Es lässt sich zum Beispiel mit Excel lesen. Dieses Programm zeigt Ihnen dann eine Tabelle mit allen URLs, die der Computer aufgesucht hat, plus Zeitstempel. Sie können nun jede dieser URLs in den Browser kopieren, und – voilà!, Sie wissen, wo der Nutzer gewesen ist.»
«Woher weißt du das alles?», musste ich ihn fragen. Ethan wurde puterrot. «Meine … ähmmm, Mutter …»
«Ja?»
«Meine Mutter checkt meinen Computer einmal in der Woche mit Pasco. Nicht, dass sie mir misstrauen würde –» Er wurde noch röter. «Sie nennt es Fürsorgepflicht, und weil sie weiß, dass ich cleverer bin als sie, hat sie sich Pasco zugelegt.»
«Deine Mutter hat recht, Ethan. Du bist ein Genie, und ich kann dir gar nicht genug dafür danken, dass du mir hilfst.»
Ethan grinste, wirkte aber nachdenklich dabei.
An diesem Abend machte ich Ernst. Nach zwei Geschichten, einem Lied und einem kurzen Intermezzo vor dem Fernseher saß ich mit meinen neuerworbenen Kenntnissen und voller Argwohn am Computer. Als Erstes lud ich Pasco herunter und installierte es.
Dann ging ich die Systemdateien durch, identifizierte mögliche Chronik-Einträge und setzte Pasco darauf
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