Ohne jede Spur
nur einen oder zwei Sätze zustande gebracht. Zweien war es gelungen, fast eine ganze Seite zu füllen. Sandra Jones hatte jede Arbeit mit ein, zwei Kommentaren versehen und mit einer umkringelten Ziffer in der rechten oberen Ecke benotet. Ihre Handschrift war sehr weiblich, und einige wenige Schüler hatten sich Smileys verdient. Ein Fälscher, befand D. D., hätte an ein solches Detail bestimmt nicht gedacht. Es war also davon auszugehen, dass Sandra Jones an diesem Küchentisch gesessen und die Arbeiten korrigiert hatte, was sie laut Auskunft ihres Ehemannes immer erst dann zu tun pflegte, wenn die kleine Ree im Bett lag.
Gegen neun am Abend würde Sandra Jones demnach noch gelebt haben. Dann …
D. D. richtete den Blick auf den Computer, ein relativ neues Gerät von Dell, das auf dem kleinen roten Tisch am Fenster stand. Sie seufzte.
«Eingeschaltet?», fragte sie hoffnungsvoll.
«Ich wollte mich nicht in Versuchung bringen», antwortete Miller.
Eine heikle Angelegenheit, denn die Geheimnisse des Computers waren nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Ehemanns zu lüften. Vielleicht ließ sich mit ihm verhandeln.
D. D. wandte sich der engen Stiege im hinteren Teil der Küche zu.
«War die Spurensicherung auch oben?», fragte sie.
«Ja.»
«Wo steht deren Transporter?»
«Fünf Blocks entfernt, vor einer Kneipe. Ich komme mir vor wie ein Grünschnabel.»
«Schön. Haben die Kollegen die Treppe unter die Lupe genommen?»
«Als Erstes», versicherte Miller. Dann fügte er hinzu: «Hören Sie, Sergeant, wir sind hier seit sechs Uhr in der Früh, zwischenzeitlich mit nicht weniger als zehn Kollegen, die das ganze Haus auf den Kopf gestellt haben, den Keller, sämtliche Schlafzimmer, Kleiderschränke, den Garten. Das Einzige, das für uns von Belang sein könnte, ist eine zerbrochene Nachttischlampe und eine Steppdecke, die nicht mehr da ist, wo sie sein sollte, nämlich im Elternschlafzimmer. Ich habe die Jungs von der Spurensicherung nach oben geschickt, um zu tun, wofür sie bezahlt werden, und den Rest der Truppe ausschwärmenlassen, damit sie Sandra Jones zurückholen oder zumindest herausfinden, was mit ihr passiert ist. Wir machen unseren Dienst nach Vorschrift, aber das hat uns noch nicht weit gebracht.»
D. D. seufzte wieder, legte ihre Hand aufs Geländer und stieg über schokoladenbraune Stufen nach oben.
Dort war es so gemütlich wie unten. D. D. duckte sich unwillkürlich, weil zwei alte Leuchter fast bis auf Kopfhöhe von der Decke herabhingen. Der Flur war mit Parkett ausgelegt und ebenso dunkelbraun getönt wie die Stufen. In den Ecken hatte sich Schmutz gesammelt. Ein paar feine Haare wirbelten unter ihren Füßen auf. D. D. tippte auf ein Haustier, das allerdings bislang unerwähnt geblieben war.
Sie blieb stehen und blickte zurück auf zahllose Fußabdrücke im Staub. Nur gut, dass die Spurensicherung schon alles aufgenommen hatte, dachte sie. Unwillkürlich krauste sie die Stirn, als ihr im Anschluss daran ein beunruhigender Gedanke durch den Kopf ging.
Fast hätte sie ihn laut ausgesprochen, hielt sich aber zurück. Es war wohl besser, damit zu warten. Alles zu seiner Zeit.
Von Miller gefolgt, passierte sie ein vollgestopftes Badezimmer, das ähnlich wie die Küche im Stil der Fünfziger dekoriert war. Ihm gegenüber befand sich unter steil abfallender Dachschräge ein bescheidenes Schlafzimmer mit Einzelbett, auf dem eine pinkfarbene Bettdecke lag. Die Wände waren hellblau gestrichen und mit Wolken, Vögeln und Schmetterlingen verziert. Hier schlief offenbar die Tochter. D. D. verspürte einen Stich, als sie an diekleine Clarissa Jane Jones dachte, die in diesem hübschen Nest gelegen hatte und dann wohl von einem Trupp durchs Haus latschender Polizisten in dunklen Anzügen aufgeschreckt worden war.
D. D. hielt sich nicht lange im Kinderzimmer auf und ging weiter den Flur entlang in Richtung Elternschlafzimmer.
Vor dem Fenster standen zwei Kollegen der Spurensicherung. Sie hatten soeben das Rollo runtergelassen und damit begonnen, das Zimmer mit Blaulicht zu durchsuchen. D. D. und Miller blieben im Flur zurück, während eine der beiden Gestalten im weißen Overall die Wände und den Fußboden nach Spuren von Körperflüssigkeiten ableuchtete. Sobald ein Fleck zu sehen war, trat die zweite in Aktion und markierte die Stelle mit einem Schildchen. Der ganze Vorgang dauerte an die zehn Minuten. Das Bett ließen sie aus. Laken, Decken und Kopfkissen
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