Ohne jede Spur
Decke aus, ließ Nick den Saum aufnehmen und hielt selbst die andere Seite gepackt. Die Decke hatte offenbar länger in der Waschmaschine gelegen: tiefe Falten, Waschmittelduft – frisch, sauber. Als die beiden sie aufschüttelten, rollte ein nasservioletter Ball daraus hervor und fiel klatschend zu Boden.
D. D. trug nach wie vor ihre Latexhandschuhe und ging in die Hocke. «Vermutlich Sandra Jones’ Nachthemd», sagte sie und faltete ein T-Shirt auseinander, auf dessen Vorderseite tatsächlich ein gekröntes Küken prangte.
Alle vier beteiligten sich an der Suche nach Spuren von Blut oder Rissen, die auf einen Kampf hingedeutet hätten. Nach irgendwelchen Hinweisen.
D. D. beschlich wieder das ungute Gefühl, etwas Auffälliges vor Augen zu haben und trotzdem nicht zur Kenntnis zu nehmen.
Wer nimmt sich die Zeit, eine Decke und ein Nachthemd zu waschen, lässt aber eine zerbrochene Lampe am Boden liegen? Welche Frau würde sich ohne Kind, Handtasche und Auto aus dem Staub machen?
Und mit was für einem Typ von Ehemann hatten sie zu tun, der, von der Arbeit zurückgekehrt, feststellt, dass seine Frau verschwunden ist, und erst drei Stunden später die Polizei benachrichtigt?
«Speicher, Zwischenböden?», fragte D. D. mit Blick auf Miller. Nick und Marge falteten die Decke fürs Labor zusammen. Falls kein Bleichmittel verwendet worden war, würden noch Spuren darauf zu erkennen sein. Sie nahmen D. D. das violette Nachthemd aus der Hand und steckten es in eine zweite Plastiktüte.
«Keine Zwischenböden. Der Speicher ist ziemlich klein, und außer Weihnachtsschmuck gibt er nicht viel her», berichtete Miller.
«Wandschränke, Gefriertruhen, Außengebäude, Feuerstellen im Garten?»
«Nichts, nichts, nichts.»
«Und dann hätten wir da noch den großen blauen Hafen.»
«Allerdings.»
D. D. seufzte schwer und versuchte es mit einer letzten Möglichkeit: «Das Fahrzeug des Gatten?»
«Ein Pick-up. Er hat uns einen Blick auf die Ladefläche gestattet, sich aber geweigert, die Türen zur Fahrerkabine zu öffnen.»
«Ganz schön auf der Hut, der Kerl.»
«Eiskalt, würde ich sagen», entgegnete Miller. «Seine Frau ist seit Stunden verschwunden, und er hat nicht mal zum Hörer gegriffen, um irgendein Familienmitglied oder Freunde zu informieren.»
Für D. D. war damit die Sache entschieden. «Also los», sagte sie. «Knöpfen wir uns endlich Mr Jones vor.»
4. Kapitel
Als kleines Mädchen habe ich an Gott geglaubt. Mein Vater nahm mich sonntags mit in die Kirche. Ich besuchte den Kindergottesdienst und hörte Geschichten aus der Bibel. Danach traf sich die Gemeinde vor der Kirche, wo es immer was zu essen gab: gebackene Hühnerbeine, Broccoliauflauf oder Pfirsichtarte.
Wenn wir dann nach Hause zurückgekehrt sind, ist Mom mit einem Hackmesser hinter Daddy hergerannt und hat geschrien: «Du machst mir nichts vor, Mister. Bist doch bloß scharf auf all die Betschwestern und dass sie mit dir ihr Gesangbuch teilen.»
Und während sie meinen Dad durchs ganze Haus jagte, hockte ich im Garderobenschrank und musste jedes Wort mit anhören, ständig in Angst, er könnte stolpern, die Treppe hinunterstürzen oder ihr nicht schnell genug ausweichen.
Als kleines Mädchen habe ich an Gott geglaubt. Wenn ich morgens aufwachte und mein Vater lebte noch, habe ich das als ein Zeichen göttlicher Allmacht verstanden. Erst als ich älter war, wurde mir allmählich klar, was wirklich dahintersteckte. Dass mein Vater überlebte, hatte
nichts mit dem Willen Gottes zu tun, sondern war einzig und allein dem Willen meiner Mom zuzuschreiben. Sie wollte nicht, dass er stirbt.
Nein, sie wollte ihn nur quälen und dafür sorgen, dass ihm jede Minute seines Lebens vorkam wie eine Ewigkeit in der Hölle.
Mein Vater überlebte, weil sein Tod nach Moms Ansicht viel zu gut für ihn gewesen wäre.
«Haben Sie Mr Smith gefunden?»
«Wie bitte?»
«Mr Smith. Meinen Kater. Mommy wollte nach ihm suchen und ist immer noch nicht zurück.»
D. D. zwinkerte ein paarmal rasch mit den Lidern. Sie hatte gerade, aus dem Keller kommend, die Tür zur Küche geöffnet und sah sich einem sehr ernst dreinblickenden kleinen Mädchen mit Lockenkopf gegenüber. Clarissa Jones war offenbar aufgewacht und gekommen, um sich an den Ermittlungen zu beteiligen.
«Verstehe.»
«Ree?» Eine Baritonstimme durchbrach die Stille. Ree drehte sich gehorsam um. Als D. D. aufblickte, sah sie Jason Jones im Flur
Weitere Kostenlose Bücher