Ohne jede Spur
Sandra um ihren Mann Sorgen machte, und deutlichwurde, dass der sich ziemlich gut mit Computern auskannte, hatte Ethan beschlossen, weitere Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet waren, die Sicherheit seiner Lieblingslehrerin zu garantieren.
Als Erstes hatte er sich mit seinem Onkel in Verbindung gesetzt, dem einzigen Erwachsenen, den Ethan für halbwegs gescheit hielt. In Sachen Computertechnik war Onkel Wayne der Profi schlechthin. Außerdem arbeitete er für die Landespolizei. Falls also Mrs Sandras Ehemann irgendwas auf dem Kerbholz hatte, würde Onkel Wayne ihn zur Strecke bringen können, und Sandra wäre frei. Ethan fand diese Aussicht toll und seinen Plan genial.
Dumm nur, dass der Plan nicht aufzugehen schien. Sandras Ehemann war immer noch auf freiem Fuß, und sein Onkel interessierte sich seit neuestem für Basketball. Er kam jeden Donnerstagabend in die Schule und ging mit Mrs Sandra spazieren, während er, Ethan, auf diese kleine Göre aufpassen musste.
Das gefiel ihm ganz und gar nicht. Und überhaupt, sich in einen anderen Computer einzuhacken konnte doch unmöglich so lange dauern. Er selbst hätte das in spätestens fünf Minuten geschafft.
Und dann dämmerte es ihm: Vielleicht hatte er seinen Onkel und die Landespolizei gar nicht nötig. Vielleicht reichte es, einen kleinen Trojaner zu basteln, ihn mit einer E-Mail an Mrs Sandra zu schicken und in ihrem Computer eine Hintertür für sich zu öffnen.
Er würde Zugriff auf ihn haben.
Er würde Sandras Ehemann auf die Schliche kommen.
Er würde Lorbeeren ernten.
Allerdings hatte sich Ethan noch nie an einem Trojaner versucht. Er musste sich also zunächst einmal schlaumachen, ein paar Testläufe durchführen und gegebenenfalls Veränderungen vornehmen.
Vor drei Wochen hatte er schließlich Ernst gemacht und Mrs Sandra eine unverfängliche kleine Mail geschickt, der ein paar Links und Grafiken angehängt waren, die ihr für ihren Gemeinschaftskundeunterricht nützlich sein mochten.
Sie hatte die E-Mail erst zwei Tage später geöffnet, worüber er ein wenig verärgert gewesen war. Sollte man von Lehrern nicht erwarten dürfen, dass sie schneller reagierten?
Sei’s drum, der Trojaner hatte sich letztlich auf Sandras Festplatte erfolgreich eingenistet. Am Tag drei konnte Ethan die Probe aufs Exempel machen, und – yeah – er hatte Zugriff auf den Familiencomputer der Jones. Er würde sich nun zurücklehnen und Mr Jones irgendwann auf frischer Tat ertappen.
Ethan sah sich bereits als Star in der T V-Reihe
48 Hours Investigates
, als Helden einer Episode über einen genialen Schüler, der es geschafft hatte, einen notorischen Kinderschänder hoppzunehmen. Leslie Stahl würde ihn um ein Interview bitten. Er wäre ein gefragter Spezialist für Internetsicherheit, umworben von allen möglichen Netz-Communities.
Schon in den ersten drei Nächten brachte Ethan tatsächlich Erstaunliches über Mr Jones in Erfahrung, ja, mehr, als ihm lieb war.
Womit er allerdings nicht gerechnet hatte, war, dass er auch über Mrs Sandra einiges erfuhr.
Und nun steckte er in der Klemme. Wenn er Mr Jones überführen wollte, musste er auch Mrs Sandra überführen – und Onkel Wayne.
Er wusste zu wenig und gleichzeitig zu viel.
Und Ethan Hastings war clever genug zu begreifen, dass er sich auf verdammt dünnem Eis befand.
Noch einmal schaute er sich auf dem Smartphone seiner Mutter den Mailverkehr an und dachte darüber nach, die Nummer 911 zu wählen, legte dann aber das Handy wieder weg. Vielleicht sollte er sich an die Sergeantin wenden, die mit den blonden Haaren. Sie schien ganz nett zu sein. Doch wie schon seine Mutter sagte: Selbst das bewusste Vorenthalten von Informationen kam einer Lüge gleich. Und die Polizei zu belügen würde ihm mehr Ärger einbringen als ein Schulverweis oder der vierwöchige Verlust seiner Privilegien im Computerlabor.
Ethan wollte nicht in den Knast.
Aber er hatte auch schreckliche Angst um Mrs Sandra.
Er nahm das Gerät wieder zur Hand, las zum x-ten Mal die Einträge und seufzte. Schließlich raffte er sich auf und tat das Einzige, wozu er sich im Augenblick überwinden konnte. Er öffnete ein E-Mail -Fenster und fing zu schreiben an.
Lieber Onkel Wayne …
Wayne Reynolds war kein besonders geduldiger Mann. Sandra Jones wurde seit mehreren Tagen vermisst, und es schien ihm, als ließen sich die ermittelnden Beamtenallzu viel Zeit damit, sie zu finden. Er würde ihnen
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