Ohne jede Spur
ins Wohnzimmer getragen und den Fernseher eingeschaltet, ohne zu fragen. Sie schien zu wissen, dass er ihr die Bitte nicht ausschlagen würde, und er hatte sie gewähren lassen. Er brachte es nicht über sich, ihr zu sagen:
Setz dich gefälligst an den Tisch. Zu viel Fernsehen macht plemplem. Komm, lass uns gemeinsam frühstücken
.
Erziehungsfragen erschienen so belanglos angesichts dessen, was ihnen an diesem Tag bevorstand, dem zweitenTag ohne Sandra, ohne Rees Mommy, ohne seine Frau, die aller Wahrscheinlichkeit nach vor sechsunddreißig Stunden ihren Internet-Account vorsätzlich gelöscht und ihn und die gemeinsame Tochter verlassen hatte.
Wieder klingelte das Telefon. Ree blickte diesmal zu ihm auf, vorwurfsvoll, wie es schien.
Also raffte er sich schließlich vom Sofa auf und nahm den Hörer ab.
Es war natürlich Sergeant Warren. «Guten Morgen, Mr Jones.»
«Von gut kann nicht die Rede sein», entgegnete er.
«Ich vermute, Sie haben eine produktive Arbeitsnacht hinter sich.»
«Ich hatte noch einiges zu erledigen, ja.»
«Wie geht es Ihrer Tochter?»
«Haben Sie meine Frau gefunden, Sergeant?»
«Leider nein –»
«Dann sollten wir uns auf die Suche konzentrieren, meinen Sie nicht auch?»
Er hörte sie scharf einatmen. «Nun, da seit dem Verschwinden Ihrer Frau bereits über vierundzwanzig Stunden vergangen sind, gilt sie nun offiziell als vermisst. Das sollten Sie wissen.»
«Gut für sie», murmelte er.
«In gewisser Weise ja. Wir können jetzt Ermittlungen aufnehmen, und zwar mit allen Möglichkeiten, die uns zur Verfügung stehen. Unter anderem werden wir um neun Uhr eine Pressekonferenz abhalten und bekanntgeben, dass Ihre Frau vermisst wird.»
Er wurde stocksteif. Ihre Worte trafen ihn wie ein stechender Schmerz zwischen den Augen. Er wollte protestieren, hielt sich aber zurück. Er kniff sich in den Nasenrücken, um vor seiner Tochter die Tränen zu verbergen, die ihm in die Augen schossen. «Na schön», sagte er leise. Es war nun, wie ihm schwante, an der Zeit, ein paar Anrufe zu erledigen. Einen Anwalt zu Rate zu ziehen, Vorkehrungen für die Versorgung von Ree zu treffen. Er klemmte den schnurlosen Hörer zwischen Schulter und Ohr und ging in die Küche, weil er nicht wollte, dass die Kleine mithörte.
Er öffnete den Kühlschrank, erschrak beim Anblick der von Sandra so heißgeliebten Dr.-Pepper-Dosen und schlug die Tür wieder zu.
«Das Beste wäre natürlich», fuhr Sergeant Warren fort, «wenn auch Sie der Presse ein paar Worte sagen und damit unserem Fall ein persönliches Gesicht geben würden. Wir könnten die Pressekonferenz auch in Ihrem Garten stattfinden lassen, zusammen mit Ihnen und Ihrer Tochter.»
«Nein danke.»
«Nein danke?» Sie klang überrascht, aber er wusste, dass sie nur so tat.
«Ich mache mir vor allem um meine Tochter Sorgen und glaube nicht, dass ein solcher Medienrummel gut für sie wäre. Im Gegenteil, es würde sie verstören, wenn Reporter in unserem Garten herumtrampeln und sich in unser Privatleben einmischen. Nein, ich bleibe lieber zu Hause und bereite sie darauf vor, was als Nächstes kommen wird.»
«Und was kommt Ihrer Meinung nach als Nächstes?», fragte Sergeant Warren, womit sie ihn, wie er ahnte, zu ködern versuchte.
«Sie werden dafür sorgen, dass das Foto meiner Frau im Fernsehen und in den Zeitungen gezeigt wird. Kopien werden verteilt und überall in der Stadt zu sehen sein. Sie werden Suchtrupps auf die Beine stellen, für die sich wahrscheinlich auch Kollegen von Sandy freiwillig zur Verfügung stellen. Nachbarn werden Sie mit Informationen versorgen wollen in der Hoffnung, ihre Neugier stillen zu können. Sie werden Hundestaffeln anfordern, und ich soll Ihnen dafür Kleider von Sandy geben, damit die Tiere Witterung aufnehmen können. Dann wollen Sie auch Haare aus ihrer Bürste für DN A-Tests , falls eine Leiche gefunden wird. Sie werden ein Familienfoto von mir verlangen, denn darauf stehen die Medien, die ihrerseits in ihren Übertragungswagen vor meinem Haus kampieren und mit ihren Scheinwerfern die Nacht zum Tage machen. Und Sie werden Kollegen in Uniform anrücken lassen müssen, damit sie die Journaille auf Abstand halten, die mir sonst die Bude einrennen und mich mit Fragen löchern würde. Wenn ich als Sprecher in eigener Sache aufträte, würde vor Gericht alles, was ich sage, gegen mich verwendet werden können. Wenn ich mich aber von einem Anwalt vertreten lasse, wird man mir unterstellen, dass ich etwas
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