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Ohne jeden Zweifel: Thriller (German Edition)

Ohne jeden Zweifel: Thriller (German Edition)

Titel: Ohne jeden Zweifel: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Rob Smith
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natürlich nicht mehr, aber vielleicht kann sie sich an Ihre Mutter erinnern, und vielleicht redet sie ja mit Ihnen.«
    Die Lehrerin hieß Caren.
    Caren wohnte in einem winzigen Dorf mit nicht mehr als hundert Häusern, einem einzigen Geschäft und einer Kirche. Ich klopfte an und war erleichtert, als geöffnet wurde. Die ehemalige Lehrerin trug Hüttenschuhe, im Haus roch es nach frisch gebackenem Gewürzbrot. Als ich meine Mum erwähnte, wollte Caren sofort wissen:
    »Warum sind Sie hier?«
    Ich sagte, das ließe sich nicht so schnell erklären. Sie wollte ein Foto von meiner Mum sehen. Auf dem Handy zeigte ich ihr ein Bild, das ich aufgenommen hatte, bevor sie nach Schweden gegangen war. Caren setzte ihre Brille auf und musterte meine Mum, bevor sie sagte:
    »Es ist etwas passiert.«
    »Ja.«
    Es schien sie nicht zu überraschen.
    Ihr Haus war warm, aber anders als die künstliche Wärme bei meinem Großvater wirkte die Hitze vom Kaminfeuer im Wohnzimmer einladend. Der Weihnachtsschmuck war handgemacht. Erst jetzt fiel mir auf, dass mein Großvater sein Haus nicht geschmückt hatte, nicht einmal mit einer Adventskerze im Fenster. Anders als dort hingen bei Caren Fotos von ihren Kindern und Enkeln an den Wänden. Obwohl ihr Mann vor einem Jahr gestorben war, wie sie erzählte, steckte dieses Haus voller Leben und Liebe.
    Caren kochte für mich schwarzen Tee mit Honig und wollte nicht reden, bevor er fertig war; ich musste mich gedulden. Dann setzten wir uns ans Feuer. Von den Säumen meiner Hosenbeine, die im Schnee nass geworden waren, stieg Dampf auf. Man merkte Caren noch die Lehrerin an, als sie sagte, ich solle nichts überstürzen und ihr alles schön der Reihe nach erzählen – mit ihren Regeln, was Geschichten anging, erinnerte sie mich an meine Mum. Tilde hatte eine ihrer ersten Klassen besucht.
    Ich erzählte Mums Geschichte. Am Ende, meine Hose war mittlerweile getrocknet, erklärte ich, ich wollte in Schweden meine Theorie überprüfen, dass Frejas Tod, ob Unfall oder nicht, eine entscheidende Rolle bei der Krankheit meiner Mum gespielt hatte. Caren starrte ins Feuer, während sie antwortete:
    »Tilde liebte die Natur mehr als jedes andere Kind, das ich je unterrichtet habe. Wenn sie auf einem Baum spielen konnte, war sie viel glücklicher als in jedem Klassenzimmer. Sie durchschwamm ganze Seen. Sie sammelte Pflanzensamen und Beeren. Die Tiere haben sie geliebt. Aber sie fand keine Freundinnen.«
    Ich fragte:
    »Nur Freja?«
    Caren wandte sich vom Feuer ab und sah mich unverwandt an:
    »Es gab keine Freja.«
    Im Licht des Vollmonds kehrte ich zum Hof meines Großvaters zurück und parkte so weit entfernt, dass er den Wagen nicht hören konnte. Ich lief durch verschneite Felder bis zu dem kleinen Wäldchen in der Nähe seines Hauses, wo meine Mum einen Unterschlupf gebaut und sich angeblich mit Freja getroffen hatte. Um die hundert Kiefern wuchsen zwischen moosbedeckten Felsbrocken, ein Stückchen wilder Natur, auf dem man nichts anbauen konnte. Hier war kein Unterschlupf. Und obwohl meine Mum beschrieben hatte, wie sie auf einen Baum geklettert war und zu Frejas Hof hinübergesehen hatte, konnte ich in der Nähe kein Gebäude entdecken. Ich beschloss, trotzdem nach oben zu klettern, um die Welt zu sehen, wie meine Mum sie gesehen hatte. Die Äste der Kiefern gingen im rechten Winkel vom Stamm ab, sodass ich wie auf einer Leiter zwei Drittel hinaufsteigen konnte, bevor sie zu schwach wurden. Als ich dort oben saß und mich umsah, merkte ich, dass ich mich geirrt hatte. In der Nähe stand doch ein Gebäude, ein deutlich kleineres als ein Haus, das im hohen Schnee fast verschwand. Von hoch oben konnte ich den Dachfirst erkennen – eine schwarze Kerbe in der weißen Schneedecke.
    Als ich vom Baum kletterte, verlor ich das Gebäude wieder aus dem Blick. Ich lief grob in die Richtung und konnte nach kurzer Zeit zwischen den Schneewehen Holzwände ausmachen. Die Hütte war aus Birkenholz gebaut. Der Größe nach schätzte ich, dass es ein Werkzeugschuppen oder eine Werkstatt war, wahrscheinlich durch einen Trampelpfad mit dem Haus meines Großvaters verbunden. An der Tür hing ein rostiges Vorhängeschloss. Mit meinem Schlüsselring schraubte ich den Beschlag von der Tür, nahm das Schloss ab und ging hinein.
    Nachdem das Mondlicht genügt hatte, um die Hütte zu finden, brauchte ich jetzt zum ersten Mal meine Taschenlampe. Direkt vor mir sah ich mein verzerrtes Spiegelbild. Mein Bauch wirkte aufgebläht, er

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