Ohne jeden Zweifel: Thriller (German Edition)
ihnen suchte, fiel mir schließlich auf, dass eine Vitrine verrückt worden war. Neben den Beinen waren feine Kratzer im Holzboden. Ich zog sie zurück und sah enttäuscht, dass dahinter nur ein Wort stand:
Freja!
Ein Name, mehr nicht, genau wie in der Mail, die sie mir geschickt hatte …
Daniel!
Ich hatte schon mit meinem Dad über Mums Handschrift gesprochen, ich wollte wissen, wer das Tagebuch geschrieben hatte, das in der rostigen Stahlkassette gelegen hatte. Mein Dad erklärte, meine Mum sei Beidhänderin. Im Sommer hatte er sie dabei erwischt, wie sie spätabends die alten ausgegrabenen Blätter beschrieben hatte. Sie hatte das erfundene Tagebuch mit ihrer linken Hand geschrieben.
Ich nahm das Handy und rief meinen Dad an. Es überraschte ihn, so spät von mir zu hören. Ohne die üblichen Höflichkeitsfloskeln fragte ich:
»Dad, warum hast du die Vitrine verschoben, um die Schrift an der Wand zu verdecken? Warum sollte es niemand sehen?«
Er antwortete nicht. Ich fuhr fort:
»Du hast eure Sachen nicht zusammengepackt. Du hast das Boot im Fluss gelassen, dass es einfriert. Aber um ein einziges Wort zu verbergen, dafür hattest du Zeit.«
Er sagte immer noch nichts.
»Dad, als du mich aus Schweden angerufen und erzählt hast, dass Mum krank ist, hast du gesagt, ich wüsste vieles nicht. Du hast gesagt, Mum könnte gewalttätig werden. Aber im Sommer war sie nicht gewalttätig. Und sie hat niemanden verletzt. Was hast du da gemeint?«
Als er weiter schwieg, fragte ich:
»Dad, hat Mum Freja getötet?«
Endlich antwortete er:
»Ich weiß es nicht.«
Er fügte kaum hörbar hinzu:
»Aber es würde eine Menge erklären.«
Weil ich nicht schlafen konnte, stand ich auf und zog mich an. Ich kochte eine Thermoskanne mit starkem Kaffee und wärmte auf der Glut des schmiedeeisernen Ofens ein Brötchen mit ein paar dicken Scheiben mildem schwedischem Käse, bis er weich wurde. Dann packte ich eine kleine Tasche mit Kleidung zum Wechseln und nahm mein Notizbuch und den Stift als Maskottchen mit, eher als Absichtserklärung, als um es wirklich zu benutzen. In der dunkelsten Nacht des Jahres verließ ich den Hof und fuhr Richtung Nordosten durch das Land, in Richtung des großen Sees, in dem meine Mum geschwommen und Freja ertrunken war. Über weite Strecken war mein Auto das einzige auf der Straße. Als ich das Haus meines Großvaters erreichte, dämmerte es gerade, der Himmel teilte sich in Tag und Nacht. Die matte Lampe über dem Scheunentor war das einzige künstliche Licht kilometerweit.
Wie meine Mum das Leben auf diesem Hof beschrieben hatte, musste mein Großvater mein Auto gehört haben. Nach dem ersten Klopfen öffnete er die Tür, als hätte er dahinter gewartet. So begegneten wir uns zum ersten Mal. Er hatte schöne weiße Haare, wie ein freundlicher Zauberer, trug sie aber an den Kopf geklatscht, dass sie aussahen wie ungleichmäßige, fettige Eiszapfen. Um acht Uhr morgens trug er einen schwarzen Anzug mit Weste, ein graues Hemd und eine schwarze Krawatte – Kleidung für eine Beerdigung. Mich überkam plötzlich der unpassende Wunsch, ihn zu umarmen, als würden wir ein Wiedersehen feiern. Dieser Mann war mein Leben lang ein Fremder geblieben, trotzdem gehörte er zur Familie, und Familie war immer etwas Kostbares gewesen. Wie hätte ich da keine Zuneigung für ihn empfinden sollen? Er sollte zu unserem kleinen Kreis gehören, egal, welche Probleme es früher gegeben hatte. Und gerade jetzt brauchte ich ihn. Mit meiner Mum im Krankenhaus war er meine einzige Verbindung zur Vergangenheit. Sei es, weil ich fremd war, sei es, weil ich vertraut wirkte, oder auch, wie Håkan behauptete, weil man in meinem Gesicht meine Mutter wiedererkannte, jedenfalls wusste er, wer ich war. Er sagte auf Schwedisch:
»Du suchst nach Antworten. Hier gibt es keine. Nur die, die du bereits kennst. Die kleine Tilde ist krank. Sie war früher schon krank. Und ich fürchte, sie wird es immer bleiben.«
Als er meine Mum »kleine Tilde« nannte, klang er weder abfällig noch liebevoll. Er sprach gezielt ausdruckslos. Seine Sätze klangen so geschliffen, als hätte er sie geübt, so genau austariert, dass ihnen jede Gefühlsregung abging.
Ich betrat das Haus meines Großvaters, das er mit eigenen Händen gebaut hatte, als er jünger war als ich jetzt. Es war nur ebenerdig, hatte weder Treppen noch einen Keller und wirkte altmodisch und erstaunlich gedrängt, wenn man bedachte, wie viel Land er besaß. An der
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