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Ohne jeden Zweifel: Thriller (German Edition)

Ohne jeden Zweifel: Thriller (German Edition)

Titel: Ohne jeden Zweifel: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Rob Smith
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wölbte sich um die gebogene Seite eines riesigen Stahlbehälters. Hier hatte mein Großvater seinen weißen Honig gesammelt. Die Hütte war zweckmäßig eingerichtet. Die einzige Zierde war eine kunstvolle Kuckucksuhr an der Wand. Sie zeigte nicht mehr die richtige Zeit an. Ich spielte daran herum, bis das Uhrwerk wieder lief. Über und unter dem Ziffernblatt gab es zwei Türchen. Als die Uhr schlug, öffneten sich beide Türen gleichzeitig, und zwei Holzfigürchen kamen hervor, ein Mann und eine Frau. Der Mann war oben und starrte auf die Frau, die Frau starrte von unten zu ihm hinauf. Unwillkürlich ergänzte ich:
    Hallo da oben!
    Hallo da unten!
    Das Pärchen verschwand in der Uhr, und in der Hütte wurde es wieder still.
    Hinter dem Stahlzylinder sah ich an einem Kleiderhaken die Imkerausrüstung meines Großvaters, die Schutzkleidung, die er angezogen hatte, wenn er den Honig aus den Bienenstöcken holte. Die Kleidung bestand aus weißem lederartigem Material. Ich legte die Taschenlampe auf den Boden und zog die Sachen an, Hose, Jacke und Handschuhe. Als Letztes setzte ich die Imkerhaube mit dem schwarzen Netzstoff auf und betrachtete mein verzerrtes Spiegelbild. Vor mir stand der Troll, den meine Mum beschrieben hatte, mit dinosaurierdicker Haut, blassen Händen mit so etwas wie Schwimmhäuten, langen Fingern und statt eines Gesichts mit einem einzigen riesigen schwarzen Auge, das starrte und starrte und niemals blinzelte.
    Als ich die Sachen auszog, fiel mir eine zweite Tür auf. Ich gab mir keine Mühe mehr, leise zu sein, und trat mit dem Absatz meines schweren Stiefels zu, bis das Holz brach. Dann quetschte ich mich durch die Tür und beleuchtete den Boden, der mit Holzspänen übersät war. Überall lagen Sägen und Beitel – hier hatte mein Großvater die Bienenstöcke repariert und instand gesetzt. Hier hatte er auch Kuckucksuhren gebaut. Auf dem Boden lagen mehrere angefangene Uhren und ein Stapel halb fertiger Holzfiguren. Aus manchen Brettern schauten Gesichter hervor. Ich nahm eines in die Hand und fuhr mit einem Finger über die lange, gebogene Nase. Einige der Figuren waren skurrile Wesen, eine solche Fantasie hätte ich meinem Großvater gar nicht zugetraut. Hier drinnen konnte er seiner Kreativität freien Lauf lassen, hier hatte er die Tür vor der Welt verschlossen und seine Persönlichkeit ausgelebt. Ich ging in die Hocke und hob eine raue Spanlocke auf.
    Ich weiß nicht, wie lange mein Großvater schon in der Tür stand und mich beobachtete. Irgendwie war mir klar gewesen, dass er kommen würde, vielleicht hatte ich die Tür eingetreten, um ihn zu rufen, um ihn aus seinem Haus zu locken. Ich ließ mir absichtlich Zeit dabei, die Werkstatt weiter anzusehen. Früher, wenn er meine Mum herbrachte, hatte er ihre Angst ausgenutzt, aber jetzt konnte er diese Waffe nicht mehr einsetzen. Ich drückte die Spanlocke in der Hand zusammen, als ich hörte, wie er die äußere Tür schloss.
    Ich drehte mich um und hob die Taschenlampe. Er winkte, ich solle ihm nicht in die Augen leuchten. Ich tat ihm den Gefallen, senkte die Taschenlampe und schraubte den Kopf ab, damit die Lampe ihr Licht in alle Richtungen streute. Mein Großvater trug einen Anzug. Sogar als er mich mitten in der Nacht draußen gehört hatte, hatte er einen Anzug angezogen. Ich sagte:
    »Du hast meine Mum hierhergebracht. Nur war sie dann nicht Tilde, du hast sie anders genannt. Du hast sie Freja genannt.«
    »Nein.«
    Er wollte es leugnen. Wut kochte in mir hoch, und ich wollte ihm gerade die Beweise zeigen, als er fortfuhr:
    »Sie hat den Namen selbst ausgesucht. Sie hatte ihn aus einem Buch. Ihr gefiel der Klang.«
    Ein überraschendes Detail, das eine Mitschuld andeuten sollte. Ich stockte und versuchte, seine Taktik zu durchschauen. Als erfahrener Politiker hatte er gezeigt, worauf er hinauswollte. Er würde die Vorwürfe nicht abstreiten. Viel raffinierter hatte er vor, einen Teil der Verantwortung auf meine Mum abzuwälzen. Das würde ich nicht zulassen:
    »Du hast ihr eine Geschichte erzählt – deine Geschichte. Du würdest ihren Mann spielen. Und du hast ihr befohlen, deine Frau zu spielen. Das hier, hast du gesagt, könnte euer Haus sein.«
    Ich wartete darauf, dass er etwas erwiderte, aber er blieb stumm. Er wollte sehen, wie viel ich herausgefunden hatte.
    »Tilde wurde schwanger. Von dir.«
    Caren, die Lehrerin, hatte erzählt, welche Schande meine Mum wegen der Schwangerschaft ertragen musste. Sie hatte Tilde freundlich

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