Ohne jeden Zweifel: Thriller (German Edition)
fuhr die ganze Nacht, hielt oft an und wusch mir das Gesicht mit Schnee, um wach zu bleiben. Frühmorgens erreichte ich den Hof, zu früh, um in London anzurufen, außerdem hatte ich nicht geschlafen und glaubte nicht, dass ich meinem Dad mehr als eine kurze Zusammenfassung geben konnte. Ich beschloss, ein paar Stunden zu schlafen, bevor ich ihn anrief. Als ich aufwachte, hatte ich einen ganzen Tag verschlafen. Es hatte frisch geschneit. Meine Spuren der letzten Woche waren von Schnee bedeckt. Mit einem Gefühl, als wäre ich aus dem Winterschlaf erwacht, machte ich im Ofen Feuer und wärmte Porridge, das ich mit einer Prise gemahlener Nelken würzte.
Um elf Uhr morgens rief ich an, aus irgendeinem Grund wartete ich, bis die Stunde genau voll war. Mein Dad schwieg die meiste Zeit. Vielleicht weinte er, ich wusste es nicht. Er gab keinen Ton von sich. Mir fiel auf, dass ich nicht geweint oder auf andere Weise Gefühle gezeigt hatte, es sei denn, man nahm es als Gefühlsausdruck, dass ich in der Birkenhütte Benzin verschüttet hatte. Als ich mit Mark sprach, vergewisserte er sich, dass mein Großvater das Feuer angezündet hatte – ich konnte regelrecht hören, wie er meine Verteidigung aufbaute. Nachdem ich die Einzelheiten erzählt hatte, fragte er:
»Wie geht es dir?«
In diesem Moment hatte ich nur das deutliche Gefühl, dass meine Nachforschungen noch nicht abgeschlossen waren. Diese Lücke war wie ein fehlender Zahn in meinem Mund – ein Stück nacktes Zahnfleisch, an das sich die Zunge nicht gewöhnen konnte. Für Mark war meine Erwiderung keine Antwort auf seine Frage:
»Ich kann noch nicht nach Hause kommen.«
»Aber hast du nicht alle Antworten?«
»Nein.«
Er spielte das Wort zurück, weil er nicht verstand:
»Nein?«
»Ich glaube nicht, dass sich meine Mum das alles nur eingebildet hat. Hier ist etwas passiert, hier ist wirklich etwas passiert. Ich bin mir ganz sicher. Und es gibt eine Verbindung zu dem Sommer damals.«
Als Vernunftmensch konnte Mark diesen Sprung nicht nachvollziehen. Es gab keine Grundlage für meine Behauptung, und sie schien nicht zu dem zu passen, was ich herausgefunden hatte. Trotzdem gab er seine Einwände auf und vertraute mir, wenn ich sagte, dass sich diese beiden Sommer zu einem Kreis schlossen. Der eine war der Schlüssel zum anderen.
Ich fuhr an den Touristenstränden vorbei zu dem unberührten Küstenstreifen, an dem meine Mum regelmäßig gejoggt war. Mit einem kleinen Rucksack und warm eingepackt zum Schutz vor dem schneidenden Wind vom Meer machte ich mich auf den Weg durch Gestrüpp und Dünen. Ich hatte die Kapuze meiner Cordjacke aufgesetzt und unterm Kinn gut verschnürt, damit sie nicht ständig zurückgeweht wurde. Als ich mir die Nase mit einem Taschentuch abtupfte, war das Taschentuch selbst bald gefroren und so steif, dass ich es mir auf die Handfläche stellen konnte. Schließlich entdeckte ich mit tränenden Augen den alten Leuchtturm.
Die Wellen hatten die Steine mit schwarzem Eis überzogen. Stellenweise war es so glatt, dass ich auf Händen und Knien weiterkroch. Verfroren und zerschlagen erreichte ich die Tür, an die Mia vor Monaten ihre Blumen gehängt hatte. Statt der Blumen hing jetzt ein Bogen Eiszapfen in der Tür, dort, wo das Meerwasser dagegengespritzt war. Als ich die Schulter gegen die Tür rammte, brachen die Eiszapfen ab und zerplatzen auf den Felsen.
Im Leuchtturm lagen Zigarettenkippen und Bierdosen. Wie die Träneninsel hatten Teenager auch diesen Raum, weit weg von den Blicken der Erwachsenen, für sich erobert. In meiner ersten Woche war ich schon einmal hier gewesen und hatte nichts gefunden. Aber mir war etwas Merkwürdiges aufgefallen. Der Boden war dreckig – der Leuchtturm wurde ja nicht mehr genutzt –, aber die Innenwände waren frisch gestrichen.
Ich nahm den Rucksack ab, schenkte mir aus der Thermoskanne süßen heißen Kaffee ein und umklammerte den Becher, um mich zu wärmen. Mein Plan war es, die oberste Farbschicht abzulösen und freizulegen, was sich darunter verbarg. In einem Baumarkt weit weg von hier hatte ich mich dazu beraten lassen. Ohne Strom musste ich auf ein Abbeizmittel ausweichen. Nach dem Kaffee arbeitete ich mit frischem Schwung an mehreren Stellen gleichzeitig und legte Teile eines Wandgemäldes frei. Ein Bereich fiel mir besonders auf, eine Stelle mit bunten Farben – ein Strauß Sommerblumen. Ich konzentrierte mich auf diesen Bereich, und langsam kam ein Bild von Mia in ihrem weißen
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