Ohne Kuss ins Bett
irgendwohin bringen. Außer, es war etwas Persönliches, was er ihr selbst übergeben wollte …
Er erhob sich, ging hinüber und öffnete den letzten Büroschrank in der Ecke. Dann griff er tief hinein und zog die Blechdose hervor, die Andie zurückgelassen hatte, unter ihrem Bett vergessen – eine alte, schäbige Blechdose, die sie in ihrer Studentenzeit oder so ähnlich mit Muscheln beklebt hatte. Ein scheußliches Ding, aber sie hatte sie geliebt. Er hatte all die Kleinigkeiten darin gesammelt, die sie sonst noch liegen gelassen hatte mit dem Gedanken, sie ihr zu geben, wenn er sie einmal wiedersah, denn er konnte sich nicht vorstellen, sie nicht mehr wiederzusehen. Aber dann hatte er sie tatsächlich nicht wiedergesehen.
Er trug die Dose zu seinem Schreibtisch hinüber, stellte sie in die Mitte und öffnete sie, um nachzusehen, ob etwas dabei war, das ein persönliches Überbringen rechtfertigte.
Krimskrams. Abgerissene Konzertkarten – Warum habe ich die nicht weggeworfen? , fragte er sich und erinnerte sich dann an jeden einzelnen Konzertabend, Andie dicht neben ihm, und ein einzelner Ohrring, den anderen musste sie wohl mitgenommen haben, und das Paar Diamantohrringe, das er ihr zum Geburtstag geschenkt hatte, nachträglich, wie er sich erinnerte. Aber er konnte sich nicht mehr vorstellen, warum er diese langweiligen Diamanten gekauft hatte, da sie doch gar keine Diamanten wollte, nun, wahrscheinlich hatte seine Sekretärin sie gekauft, weil er zu tief in der Arbeit steckte. Und schließlich ein paar Polaroidfotos, die schon ihre Farben verloren. Er nahm sie heraus und sah sie durch. Da war Andie mit Southie, Andie mit ihrer ersten Englisch-Klasse, Andie, die mit ihm zusammen lachte, und dann die beiden allerersten Fotos von ihr, die er an dem Morgen, nachdem sie geheiratet hatten, aufgenommen hatte. Sie hatte, noch halb schlafend, nackt in die Laken eingewickelt dagelegen, und er hatte seine Beweisfoto-Kamera aus dem Wagen geholt und sie geknipst. Gähnend hatte sie gefragt: »Was machst du da?« Dann hatte sie gelächelt, und er hatte noch einmal geknipst …
Er brauchte keinen Vorwand. Er konnte nach Archer House fahren, wann immer er wollte, denn es war sein Haus und es waren seine Mündel.
Und seine Exfrau.
Er legte alles in die Blechdose zurück und schloss den Deckel. Dann hinterließ er auf Kristins Schreibtisch die Anweisung, alle Termine für die nächsten beiden Tage abzusagen, und ging hinauf in die Dachwohnung, um eine Übernachtungstasche zu packen.
Er war sich ziemlich sicher, dass er wusste, was er tat.
Der Sturm setzte die Telefonleitung außer Gefecht. »Die Kabel müssen wohl aus Papier sein«, meinte Andie zu Southie, »die Gespräche werden alle fünf Minuten unterbrochen.« Und er setzte dann auch die Sonne außer Gefecht, sodass unter den schweren Wolken der Tag zur Nacht wurde, während Andie Alice ’ Sachen in das Kinderzimmer hinüberbrachte. »Mir gefällt’s hier nicht«, protestierte Alice, als Andie begann, auch ihre eigenen Sachen hereinzubringen. »Ich möchte meine Wandbilder.«
»Du kannst ja hier auch welche malen«, erwiderte Andie.
Alice begutachtete die großen Flächen weißer Wand, die ihr zur Verfügung standen, und holte ihre Markerstifte.
Andie blickte sich um, entdeckte nirgends Geister und ging dann hinunter, um Southie zu helfen, die Séance vorzubereiten. Sie hatte das Gefühl, endlich einen Schritt weiterzukommen. Southie war am frühen Nachmittag losgefahren, um Lebensmittel und Alkohol zu besorgen, aber nun war er zurück und hatte die Vorratskammer und die Bar großzügig aufgefüllt.
»Ich verstehe nicht, warum wir das nicht im Esszimmer erledigen können«, meinte Andie, als sie gemeinsam einen alten, runden Tisch in die Mitte der Großen Halle schoben.
»Kelly möchte es hier haben.« Southie blickte sich um. »Ist vielleicht der beste Ort dafür. Schwierig, hier etwas vorzutäuschen. Nicht unmöglich, aber auch nicht so leicht wie in einem kleinen Zimmer mit vielen Möbeln.«
»Und ich dachte, diese berühmte Isolde wäre das beste Medium in ganz Ohio«, sagte Andie. »Was, wenn man’s genau bedenkt, wahrscheinlich nicht viel besagt. Wie viele Medien gibt’s denn überhaupt in Ohio?«
»Ich glaube, Kelly will es wegen der Filmerei hier haben«, erwiderte Southie. »Sie hat ein Interesse an Einschaltquoten.« Er lächelte Andie an. »Ich dagegen habe ein Interesse an Geistern.«
Andie hob die Augenbrauen. »Lass mich raten. Dein
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