Ohne Schmerz - Kein Halleluja
hin.
Thomas filmt den Unfug mit seiner HandyCam und kommentiert. „Seit er den Pilgerstab hat, ist er ganz arg fromm geworden, ich kann nix dafür!“ Zwischendurch nieselt es ein wenig. Als wir Portomarin erreichen, hat sich der Himmel bereits bedrohlich zugezogen. Da ich ohnehin einen Bancomaten brauche und Thomas furchtbaren Pizzahunger hat, quälen wiruns also die Pilgerfoltertreppe hoch, die in die Stadt führt. Die Stadt ist, obwohl erst in den 60ern errichtet, wirklich ganz hübsch. Unter Arkaden laufen wir zur nächsten Pizzeria. Kaum sitzen wir vor einem Glas Wein, öffnen sich alle Schleusen gleichzeitig und ein sturzbachartiger Regen geht auf die Stadt hernieder. Erfreulicherweise hat er nach dem Essen auch wieder ein Einsehen und verzieht sich, um woanders zu regnen. Wir besichtigen die Kirche und schlendern danach durch den Supermarkt. Dort treffen wir mal wieder Donna aus Kanada, die uns erneut mit einem lauten „Hellooooo Daaaarlings!“ begrüßt. Wir freuen uns sie zu sehen, ungefähr alle zwei Etappen begegnen wir uns. Donna ist einfach liebenswert und ein absolutes Unikum. Wir nehmen die letzten sieben Kilometer in Angriff, die Albergue Casa Garcia in Gonzar soll ganz gut sein. Wir erreichen die Albergue in dem putzigen Dörfchen Gonzar am späten Nachmittag. Drei nette, junge Spanierinnen kümmern sich hier um alles. In der Albergue sind bereits viele Pilger rund um den großen Eichentisch versammelt. Drei kenne ich bereits. Katharina aus Deutschland und James aus Irland mit seiner Freundin Carol. Außerdem sind noch etliche Holländer, Iren, Briten, Amerikaner und Deutsche anwesend, die Spanier halten noch Siesta, wie ich feststelle, als wir unsere Betten beziehen. Während Thomas an der Bar, im Patio der Herberge, eine erste Flasche Wein ordert, übergebe ich einer der drei Senoritas meine Wäsche. Wäscheservice! Herrlich! Als ich nach dem Duschen in meinen Flipflops Richtung Patio schlappe, spricht mich einer der Amerikaner an. „So what do you think? Who is going to make it tonight? Bayern Muncken or Chelsea?” Ach Du dicker Vater! Heute ist ja Championsleague Finale. Im Prinzip ist mir das ja so was von egal, der berühmte Sack Reis, der in China umfällt, ist für mich alle mal interessanter. Aber hey! Ich lebe in München, und hier, mitten in Galizien, gilt es natürlich Lokalpatriotismus zu zeigen. Eine der Herbergs-Senoritas greift die Frage auf. Sie hat mich eingecheckt und weiß, dass ich Münchner bin. „Oh yesse, whatta you thinke? Who will win?“ Ich grinse sie an und habe endlich mal Gelegenheit mit meinem etwas unanständigeren spanischen Sprachschatz zu brillieren.
„Guapa, yo no tengo ni puta idea. “ Guapa heißt “Hübsche” und den Rest übersetzt Du Dir bitte selber, lieber Leser. Während Thomas und ich an der Bar sitzen, bei einer guten Flasche Rotem,gesellt sich noch Clyde aus Montana zu uns, der sein Leben aufgrund einer Erbschaft mit Reisen verbringt und kurz darauf noch drei Mädels aus Vorarlberg, die seit Sarria laufen. Thomas und ich vereinbaren, ab morgen jeweils alleine zu laufen, denn auch das gehört zum Camino dazu. Allein mit seinen Gedanken unterwegs zu sein. Spätestens in Santiago werden wir uns wiedersehen. In den letzten acht Tagen haben wir uns wirklich gut kennengelernt. Gut, wir kannten uns vorher auch, aber hier auf dem Camino haben wir uns wirklich kennengelernt. Im normalen täglichen Leben begegnest du deinen Freunden und Bekannten dann und wann, meistens in angenehmen Situationen, wie Partys, beim Grillen, im Biergarten oder auf der Wiesn. Die Intensität der Freundschaften, die wir in jungen Jahren gepflegt haben, lässt ab Mitte 30 merklich nach. Das Leben kommt uns dazwischen, die täglichen Verpflichtungen, die Familie, der Job. Und während wir da so, bei der zweiten Flasche Wein, sitzen, wird mir klar, dass der Camino mir bereits viel gebracht hat. Ich bin, trotz kleiner Wehwehchen, entspannt wie selten zuvor. Das letzte Mal, dass ich mich so entspannt gefühlt habe, war am Legian Beach auf Bali, beim Surfen. Ich nehme mir vor, meine Freundschaften in Zukunft besser zu pflegen. Mehr Zeit für mich und meine Gedanken zu haben. Besser zuzuhören, aufmerksamer zu sein. Das Gefühl das mich durchströmt, ist vergleichbar mit dem Gefühl nach einer langen, intensiven Meditation.
Wir prosten uns zu. „Noch eine?“ „Noch eine! Senorita, por favor, un Tinto mas.” Uns ist etwas sentimental zumute, aber ein Glas Wein kuriert uns
Weitere Kostenlose Bücher